Ferdinand Ebner

Wochenschau-2022

Wochenschau-Rückblick 2022

TELE-SKOPE

skopein = sehen

Im Anfang war das Fernrohr, dann die Jupitermonde, Galileo Galilei, 1609.
2021 am Weihnachtstag startete das James Webb Space-Teleskop zum Punkt L2 (Entfernung etwa 1,5 Millionen km) um neue Aus- (auf Exoplaneten), Ein- () und Rückblicke bis zum Urknall zu sammeln. Weiterlesen: Where is Webb? NASA/Webb
Ein spannendes 2022 kündigt sich an. Auch aus Ebner-Sicht mit (Ge)Denktagen für
Galileo Galilei, Charles Darwin, Charles Lindbergh,
Schubert und Haydn,
Molière, Grillparzer, Novalis, Strindberg, ETA Hoffmann, Emile Zola, Gerhardt Hauptmann, Goethe,
Edith Stein, Blaise Pascal, Viktor Frankl, Ludwig Feuerbach,
Tito, Kaiser Konstantin
Klimt.
Viele interessante Konstellationen ergeben sich zwischen F. Ebner und dem jeweiligen Gedenkziel.
Galilei und Darwin als Vertreter der Wissenschaft zu Ferdinand Ebner fordern heraus:
Wieviel darf „sich“ der ebnersche Mensch, der ebnersche Geist in die Wissenschaften „investieren“, ohne sich Ebners „Urteil“ eines Traums vom Geist auszusetzen?

Immer spannender wird Ferdinand Ebner auch als Zeitzeuge: Das Ebner - Symposium 1981 ist auch ein Zeitzeuge. Am Silvestertag 2021 wurden mir Fotos vom Symposium 1981 übergeben. Hier einige
Zeugnisse:

Abb 1.: Gablitz Einfahrt vom Riederberg kommend, Bushaltestelle Höbersbach
Abb 3.: heutiger Blick (Verbauung)
Abb 2.: Einfahrt von Purkersdorf kommend
Abb 4.: von li nach re - M.Nakajima, Vakant, B.Casper, G. Langemeyer,G. Casanova, Vakant
Abb 5.: Beginn des Referates
Prof. Georg Langemeyer 1929 - 2014
Abb 6.: Beginn des Referates
Bernhard Casper * 1931
Abb 7.: Beginn des Referates
G. Casanova

Willibald Feinig hat mir als Weihnachtsgeschenk eine „Wortspende“ zu Ferdinand Ebner zukommen lassen.
Herr Feinig, Ebners Büchertisch der Wochenschau KW 50, war Startrampe für Ihre Wortspende:
Habe nun in Ihrer Wiedergabe von Ebners Lektüren gelesen (um einen scheußlichen Plural zu verwenden) - die mich an die Nahrungssuche hungriger Tiere erinnern - und bin dankbar, dass sich jemand die Mühe macht, den Geist zu erwecken, der ihn beseelt hat. Angeweht, fast umgeweht, beflügelt sollte man eher sagen, im Blick auf den Untertitel der Fragmente.
Wobei mir die Gefahr bewusst ist, dass einen ein solch mächtiger (schließlich einzig von der Realität der Liebe übermächtigter) Geist vereinnahmt, zum Verehrer und damit (möchte ich fast sagen) unfruchtbar macht - was er ja an Kraus-Fans beobachtet hat.

Abb 8.: Beginn des Referates
Willibald Feinig * 1951
Seine Wachheit, sein begründetes Urteil wünsche ich mir oft - so wie er sich die Ahnungen, die Selbstständigkeit und Beherztheit eines Claudius, Brentano, Hamann, auch Jean Paul und Büchner gewünscht hat - ein langes und erschreckendes Jahrhundert später (welches Jahrhundert ist nicht erschreckend? Das kurze 20. war es auf andere, nicht weniger schlimme Weise; als der Geist heraußen war, wurde die Flasche zerschlagen. Und das 21. ? - Was wird aus Afrika?)

Er hat sich von Kraus distanziert, als er die Hysterie um ihn merkte, eine heimliche, mit großer Akribie und viel Leidenschaft überspielte Verzweiflung; er hat gespürt, das reicht nicht gegen den Wahnsinn (den er in Nazi-Reinkultur nicht mehr erleben musste). Überhaupt: Er hat sich bei aller Schärfe des Intellekts (bis hin zu vernichtender Selbstkritik scharf) das Gespür bewahrt.

Ohne die Wissenschaft zu verachten, im Gegenteil, hat er sehr genau gewusst um die Ahnungen des Menschen (Ahnungen, nicht Unbewusstes oder gar Gefühl), die uns leben lassen. Eben las ich in Ihrer aktuellen Auswahl: „Die Unzulänglichkeit der kantischen Ethik … Es fehlt ihr der Nerv des eigentlichen geistigen Lebens, und das ist die Liebe.“ - ! Selbst von Kants Nüchternheit hat dieser Leser sich nicht blenden lassen.
Der Austrokatholizismus hat ihn nicht von der genauen Lektüre des Evangeliums abhalten können und tumbe marxistische Erkenntnistheorie nicht von der Erkenntnis, dass die Sozialdemokratie (auch die ‚atheistische‘) der Misere unzähliger mittelloser Menschen wirksam abhalf.

Ebner ist auch sich selbst am Ende, denke ich, insofern auf die Schliche gekommen, als er die - dogmatisierende, horribile dictu - Formelhaftigkeit losließ, in der er lang die Erkenntnis seines Lebens festzuhalten versuchte (Stichwort „Icheinsamkeit“). Der Kern der Fragmente ist eine - geschichtliche Erkenntnis, sie ist gerettet aus dem Zusammenbruch einer Welt ohne Orientierung.
Ebner kann und wird, denke ich - auf unterirdischen Wegen eher - Schule machen, und hat es schon getan - einmal als genauer, musikalischer und sprachbewusster Denker, andererseits als einer, der verbrannte in einem Feuer, an dem sich in sicherer Entfernung all die Intellektuellen, Berufs-Philosophen, Thinktanks usw. wärmen bis heute.
Die Einordnung Ferdinand Ebners in die Philosophie-Geschichte ist gescheitert - muss scheitern. Dieser Autor und Denker war mehr als ein reiner Philosoph. Auch mehr selbstverständlich als ein Kritiker, wie wir sie heute kennen, schnell eher als weise im Getümmel von Preisen, Konkurrenz, Bestsellerei und anderem Marktgeschrei.
Es scheint mir verdienstvoll, dass sein Umgang mit Frauen (Karpischek, Mizera, Jone) offenbar sorgfältig erforscht wird; das kann und wird zum Verständnis beitragen.
Noch ein Wort, weil ich Gelegenheit hatte - in Graz einst Schüler einer von ihm gegründeten Schule - mich mit Otto Glöckel auseinanderzusetzen, und auch ein wenig weiß um Ebners Freundschaft und Auseinandersetzung mit Matthias Hauer: Sie und andere hat - bei aller Verschiedenheit - die Wiener Neustädter Lehrerbildungsanstalt geprägt. Solche Prägung in Betracht zu ziehen und zu studieren hilft vielleicht auch, das Ebner-Bild zu restaurieren.
Es freut mich, dass ‚Ethik und Leben‘ erschienen ist - mit Ing. Walter Ebner wollte ich seinerzeit diese (für Hans Urs von Balthasar unverständliche) Publikationslücke schließen. Heute würde ich eher darauf drängen, dass die letzte Aphorismensammlung (Wort und Liebe) wieder aufgelegt wird, und werde den Vorschlag bei Gelegenheit Richard Pils (Bibliothek der Provinz) machen, mit dem ich zu tun habe. Er war auch Lehrer.

Herzlichen Dank für Ihre Anfrage und Gruß aus dem Westen, Ihr
Willibald Feinig

Darf ich noch eine Frage stellen? Sie waren Schüler von Prof. Fridolin Wiplinger (1932 – 1973) einem Heidegger-Schüler:

Wiplinger war im letzten Jahr vor seinem plötzlichen Tod einer meiner Lehrer, ein Philosoph im besten Wortsinn, ein Fragender, der die Bedeutung von Ebner und Rosenstock-Huessy erkannt hatte und auch im Seminar berichtete, dass Heidegger, sein Lehrer, bei einem Besuch geradezu ehrfürchtig von der Gestalt Ebners gesprochen habe. 31.12.2021

Ich finde Sie nirgends auf den Fotos:

Ich war damals - junger Familienvater und AHS-Lehrer in Vorarlberg - nur für den „Germanisten“-Teil beim Symposium anwesend und bin gleich wieder abgereist.
Ich schicke Ihnen ein aktuelles Foto von mir und meiner Frau.

Abb 9.: Willibald Feinig mit Gattin
Danke Willibald Feinig.
Hinweis: www.willibaldfeinig.at

Ja, Ebners Wachheit! Ebners Urteil !
Das James Webb Teleskop, ein Griff nach den Sternen?

Am 22.1.1919 notiert Ebner im Tagebuch und schreibt uns ins Stammbuch:

TB 22. Jänner 1919
Nicht nur das geistige ‘Objektivwerden’, auch das Versinken in der
erdgebundenen Banalität unsres Daseins kann dem Menschen zur Gefahr für sein geistiges Leben werden.

Unser Teleskop wird für heute zusammengeklappt.
Nächste Woche wird es auf Ferdinand Ebner und seine Ärzte gerichtet. Auch spannend !

Quellen:
Gegen den Traum vom Geist, Internationales Ferdinand-Ebner-Symposium 1981
angeführte Manuskripte
Fotos: | © Sammlung Dr. Herbert Limberger bezw. Feinig

Abb 10.: Umschlagbild des Symposiumbandes

Last Waltz

Ärztlicher Dialog

Der Patient, Ferdinand Ebner

Besuch beim Doktor: Gebildetes Gespräch.
Der Patient, Ferdinand Ebner, war offensichtlich zufrieden.

Abb 1.: Schaubild der Ausstellung zu Ebner und seine Gesundheit Tb Herbst 1922
Abb 2.: Hinweistafel in Gablitz

Aber Ebner verschweigt uns den Namen seines behandelnden Arztes. Welche Worte wurden wohl gewechselt?

 
Exkurs 1: Welches „Wort“ führt zu einem zufriedenstellenden Weggehen (der/des Patientin/en)?

„Worte sind die wichtigsten Vermittler für den Einfluss, den ein Mensch auf den anderen ausüben will. Worte sind gute Mittel, um seelische Veränderungen bei dem hervorzurufen, an den sie gerichtet werden, und darum klingt es nicht länger rätselhaft, wenn behauptet wird, dass der Zauber der Worte Krankheitserscheinungen beseitigen kann“
(Sigmund Freud, 1890)

Ein Danke an Mag. Julia Zeidlhofer, die diese Worte Freuds ihrer Magisterarbeit „ Der informierte Patient. Partizipative Entscheidungsfindung.“ als Motto vorangestellt hat.

Es gibt viele Seminaranbieter für gute ärztliche Gesprächsführung. Ferdinand Ebner sagte es so einfach: Wort und Liebe. Heute wird geworben mit: wertschätzende Kommunikation! Sprechen Sie die Sprache Ihrer Patienten! Und anderen Zaubertipps. Dazu wird als persönlicher Benefit aufgelistet:

Compliance bzw. Adherence-Verbesserung wird durch guten Arzt-Patienten-Dialog ermöglicht; erhöhte Lebensqualität; Beschwerden, Ärger und Stress mit Patienten nehmen ab;
Mitarbeiter in Klinik und Praxis werden zufriedener; die Zufriedenheit von Ärztinnen und Ärzten steigt dadurch ebenfalls (das betrifft alle, die im Gesundheitsbereich arbeiten)
Danke an med2day für diese Auflistung.

Abb 3.: Wegweiser / Hinweiszeichen in Gablitz

Unser Nutzen aus dem Exkurs: auch wir alle können diesen persönlichen Benefit durch ein gutes Gespräch lukrieren.

Noch eine gelungene Begegnung mit einem Arzt finden wir bei Ebner:

Ebner hatte offensichtlich eine gute Arztwahl getroffen, als er nach einem Mittagessen bei Josef M. Hauer in Wien den Medizinalrat aufsuchte:

Tb 5.März 1919

  • Nachher beim Medizinalrat Klaar – sehr angenehmer, vertrauenerweckender alter Herr.
  • Der stellte mir ein Zeugnis für mein Urlaubsgesuch aus
  • und warnte mich – vor geistiger Anstrengung: Leichte Novellen lesen.
  • Ja, wenn man das zusammenbrächte.
  • Um 1/2 4 zurückgefahren.

Aufseiten des Arztes war es offensichtlich eine gelungene Kommunikation.

 

Abb 4.: Erinnerung an Bertha und Heinrich Rieger

Exkurs 2: Last Waltz in Vienna

Ferdinand Ebner konsultierte einen berühmten Spross der Familie Klaar, der die New York Times am 28.3.1982 einen Artikel widmete. Hier danke ich Frau Dr. Helene Klaar, Rechtsanwältin in Wien, dass sie mich darauf aufmerksam gemacht hat. Ebner hat demnach Dr. Ludwig Klaar konsultiert, Obermedizinalrat und Stadtphysikus, †1.11.1849 in Czernowitz, † 24.3.1922 in Wien, also vor 100 Jahren.

Die Geschichte der Familie Klaar und ihre Vernichtung hat George Clare in seinem Buch „Last Waltz in Vienna“ aufgezeichnet. Von Dr. Hermann Klaar, einem bedeutenden Chirurgen, über dessen Sohn, Dr. Ludwig Klaar, den Ebner aufsuchte, bis zu dessen Neffen, George Klaar, der nach seiner Flucht nach England den Namen auf George Clare änderte.

Dr. Ludwig Klaar hatte 7 Kinder, Paul, Ernst, Josef, Rosalie, Frederick, Felix und Karoline. Viele Familienmitglieder kamen in den Konzentrationslagern um.

Auch der Zahnarzt Dr. Heinrich Rieger, der in Gablitz ein Haus/Villa hatte. Dieser Dr. Rieger ging aus einem anderen Grund in die Geschichte ein, weil er arme Künstler behandelte, die statt mit Geld mit Zeichnungen und Entwürfen „zahlten“, so auch Egon Schiele.

 

Exkurs 3: „wenn man das zusammenbrächte“

Am 5.3.1919 hatte Ebner seinen Erstentwurf der Fragmente gerade fertig bezw. fast fertig. Vor ihm lag die nochmalige Durchsicht und Änderung, die etwa 1 Monat dauern sollte. Die angestrebte Urlaubsverlängerung war für Ebner wichtig und notwendig. Da war nichts mit „leichte Novellen“.
"Ja, wenn man das zusammenbrächte."
Ebner hätte ja schreiben können: Ja, wenn ich das zusammenbrächte. Ebner weicht dem „ich“ geschickt in das unpersönliche „man“ aus. Er, der ein Fan der 1. und 2. Person ist!

Zurück zur Behandlung und einem schimpfenden Ebner:

Nicht so ganz gelungen erscheint die ärztliche Behandlung einer Lehrer-Kollegin:

Tb 15.8.1917
Und die Rendulič die schaut übel genug aus, eingebundener Kopf wie ein blessierter Soldat.
Was für unglaubliche Esel können doch manchesmal Ärzte sein.

Tb 28.12.1917
Und später entschlüpfte mir dann ein Wort über meine furchtbare, alles lähmende Müdigkeit, angesichts derer ich am Ende doch auf den Gedanken verfallen könnte, der Babnigg sei mit seinem ärztlichen Urteil über den Zustand meines Körpers ein Esel.

Abb.: 5 Eigentlich müsste das ein guter Zuhörer sein

Einen Tag vorher schrieb Ebner:

Tb 27.12.1917

Heute morgens war ich beim Arzt, beim Dr. Babnigg. Von zwei Seiten gedrängt, von der Mitzi und von Luise (Wiener Neustadt). Ich selber hatte gar keine rechte Lust zu diesem mir unter den gegebenen Verhältnissen überflüssigen Schritt. Der Babnigg findet übrigens nichts Beunruhigendes im Zustand meines Körpers. Von der Notwendigkeit eines Urlaubs war gar keine Rede. Ich hätte mich ja doch nicht entschließen können, einen zu nehmen.

Ebners Einschätzung über sein medizinisches Problem und vor allem seine Äußerung verletzten wieder Luise.

 

Exkurs 4: Untersuchungen Arzt - Patient

Prof. Schwantes sagte bei einer Kassenärzte-Tagung 2014, 97 Jahre nach Ebners Äußerung:
Nur zu 50 % teilen Arzt und Patient die Meinung über das medizinische Hauptproblem.

Noch einige Fakten nach Prof. Schwantes:

Ärzte schätzen den Zeitanteil, den sie mit Erklärungen und gemeinsamer Planung verbringen, um neun Mal höher ein, als er tatsächlich ist.

Ärzte unterbrechen das Reden ihres Patienten nach durchschnittlich 10 bis 20 Sekunden.

Würden Patienten nicht unterbrochen werden, würden sie durchschnittlich 90 Sekunden sprechen.

Die tatsächliche spontane Gesprächszeit eines Patienten im Arztgespräch liegt bei etwa 60 Sekunden.

In der Praxis bleiben den Patienten also nur wenige Sekunden, um zu erklären, was ihnen fehlt. Nur selten lassen Ärzte die Patienten ganz ausreden. Und das, obwohl sie wissen, dass ein gutes Arztgespräch die Basis des gegenseitigen Vertrauens ist.

Schnell finden sich die althergebrachten Rollenmuster im Alltag wieder, weil sie effizient funktionieren. Durch zügiges Vorantreiben des Gesprächs sind die Patienten schnell behandelt und schnell wieder weg.

Diese Fakten sind in Deutschland erhoben und gelten daher für dort.

Abb 6.: Wegweiser in Gablitz

Aber der „Esel“ lebt auch bei Arthur Schnitzler in seinem Tagebuch:

„Es war eine Rieseneselei von mir – Mediziner zu werden, und es ist leider eine Eselei, die nicht mehr gut zu machen ist.“

Zu Ebner und Schnitzlers Zeiten waren Gespräch und körperliche Untersuchung die Hilfsmittel des Arztes zur Diagnose. Der technische Fortschritt brachte die Apparate-Medizin. Neuerdings konsultieren Patienten zusätzlich „Dr. Google“. Dazu wusste schon Louis Pasteur einen Ausweg:

Tierärzte müssen sich wenigstens keine Selbstdiagnosen anhören (1822-1895) -

 

Exkurs 5: Sprechende Medizin

Kein Wunder, dass in der Arzt- Patient-Kommunikation Ebners WORT in der Sprechenden Medizin aufersteht und besonders wichtig ist bei

breaking bad news (Übermitteln schwerwiegender diagnostischer Fakten), Erteilen von medizinischen Ratschlägen, Fragen der Therapietreue (Einwilligung und Befolgung von diagnostischen und therapeutischen Prozeduren).

Der Begriff der „sprechenden Medizin“ wird von einigen Autoren auch mit dem dialogischen Denken in der sog. humanistischen Medizin in Verbindung gebracht und V. v. Weizsäcker zugeschrieben. Das dialogische Denken wurde in den Jahren um 1920 unter der weiteren Beteiligung von Ferdinand Ebner, Martin Buber, Franz Rosenzweig und Gabriel Marcel entwickelt. Im Rahmen der sog. Humanistischen Psychologie und deren psychotherapeutischen Ansatz ergeben sich plausiblerweise Verbindungen zur Gesprächspsychotherapie (bzw. Klientenzentrierte Psychotherapie) von Carl Rogers sowie Reinhard Tausch, aber auch zur Hypnotherapie von Milton H. Erickson.
Quelle: wikipedia „Sprechende Medizin“

Abb 7.: Informationstafel für ein Therapiezentrum, Gablitz

Von der „Sprechenden Medizin“ führt der Weg zur Betriebsführung, wieder mit Ferdinand Ebner:
Grundlegender, allgemeiner betrachtet geht es nicht nur um Arzt- Patient, sondern um das ganze „Gefüge“ der Betriebe Arzt-Ordination, Gruppen-Praxis, Heil-, Kuranstalt, Krankenhauses, letztlich um sämtliche Anbieter im Gesundheitsbereich.

 

Exkurs 6: Dialogisches Prinzip und Führungskultur

2016 wurde an der Universität Koblenz-Landau eine Dissertation von Mathias Evertz , einem Personalleiter in einem Klinikum, eingereicht:
Dialogisches Prinzip und Führungskultur,
wobei sich im Inhaltsverzeichnis einige Namen aus dem Ferdinand Ebner Symposium 1981 finden:
Martin Buber: Ich und Du, und andere Werke
Bernhard Casper: Das Dialogische Denken: Franz Rosenzweig, Ferdinand Ebner und Martin Buber
Klaus Dethloff: Hermann Cohen und die Frage nach dem Jüdischen Kairos
Ferdinand Ebner: Das Wort und die geistigen Realitäten
Rivka Horwitz: Bubers way to I and Thou.

 

 

Die Dissertation endet mit einem Fazit und einen Ausblick. Der letzte Absatz der Dissertation soll hier vermittelt werden:

Eine dialogische Führungskultur lässt sich nicht einfach einführen. Die gesamtorganisatorischen Zusammenhänge und deren gelebte Kultur sind zu beachten und ein solcher Kulturentwicklungsprozess kann allenfalls angestoßen und gepflegt werden.
Hier bei der kleinsten Einheit, also bei der Führungskraft mit dem einzelnen Mitarbeiter zu beginnen ist dabei, so die Ergebnisse dieser Untersuchung, ein möglicher Ansatzpunkt.


 

1923 war die medizinische Welt noch nicht so weit. Das Sanatorium in Hartenstein war damals modern: Geräte, Pharmaka, und ein „berühmter“ Arzt. Dorthin ist Ferdinand Ebner von Angehörigen verbracht worden:

Brief Burg Hartenstein, 22.6.1923 > LK
Am unverstellbarsten ist es mir allerdings, meine äußere Existenz so einzurichten, wie es mir der Medicinalrat gleich bei der Untersuchung vorhielt:
Zu heiraten oder doch wenigstens einen eigenen Haushalt zu haben und mit der Wirtschafterin so wie mit einer Frau zu leben.
Wenn nur diese Lösung meiner physischen Existenz möglich ist, dann freilich hätte ich mir Hartenstein ersparen können.
Im übrigen leide ich an cirkulärer Melancholie, die in einer einmaligen Kur nicht zu beheben ist.
Aber Dr. Pospischil meint, in drei Jahren könnte er auch dieses Übel auskuriert haben.
(was alles der Medicinalrat nicht zu mir, sondern zur Dr. Lamel sagte).

Exkurs 7: Paternalismus
Diese Arzt -Patientenbeziehung könnte paternalistisch sein:
Dazu aus dem Artikel „Dialogische Entscheidungsfindung“ (Armin Körfer, C. Albus, Universität Köln, in Handbuch Sprache in der Medizin)
Das traditionelle, paternalistische Modell zeichnet sich zunächst durch besondere funktionale und persönliche Eigenschaften des Arztes aus, dazu gehören etwa die Hilfsbereitschaft, Uneigennützigkeit, Neutralität gegenüber allen Patienten sowie seine epistemische Autorität als Fachmann usw.
Gerade diese besonderen Eigenschaften des Arztes scheinen ihn dazu zu berechtigen, zum Besten des Patienten zu entscheiden, ganz im Sinne der handlungsleitenden Maxime: „doctor knows best“.
In einer extremen Variante handelt der Arzt stellvertretend für den Patienten, der über „medizinische Belange“ unter Umständen (etwa aus Gründen der Schonung) erst gar nicht informiert zu werden braucht.

Zurück zum Patienten, Ferdinand Ebner

Ebner dürfte auch ein schwieriger Patient gewesen sein:

1922
Ich stehe wieder in ‘ärztlicher Behandlung’-höchst lächerlich. Ich nehme ‘Promonta’ – noch lächerlicher.
Es ist ein unhaltbarer Zustand. Wie wird die Katastrophe sein?

Ebner brauchte aber die Ärzte. So auch 1916 als er dringend einen Sonderurlaub im Oktober verlangte:

1. Oktober 1916
Ereignisse der abgelaufenen Woche: daß es bei mir mit dem Schulhalten nicht mehr weitergehen könne, wurde mir in den letzten Tagen deutlichst fühlbar.
Also ließ ich mich gestern vom Dr. Zingher untersuchen.
Sein Befund interessierte mich wenig - was er mir zu sagen hatte, wußte ich im vorhinein von selber - mir kam es auf das ärztliche Zeugnis an.
Mit dem übergab ich heute dem Chef mein Urlaubsgesuch. Sechs Wochen - das ist freilich nur eine Galgenfrist.

6. Oktober 1916
Heute erhielt ich die Vorladung zur amtsärztlichen Untersuchung. Ich habe das dumme Gefühl, als würde die mich wieder um den Urlaub bringen. Gewiß hat der Dr. Zingher in seinem Zeugnis stark übertreibende Ausdrücke gebraucht, aber das Gefühl meines Unwohlseins und meiner Dienstunfähigkeit ist denn doch nicht „hysterisch eingebildet“. So viel entschiedensten Widerwillen ich auch gegen meine ganze Schultätigkeit in mir herumtrage.

 

Kontrolluntersuchung:

9. Oktober 1916
Morgens in Wien beim Ober-Bezirksarzt, der den Befund des Dr. Zingher gar nicht bestätigte. Auf der Lunge findet er überhaupt nichts, an die Magengeschwüre glaubt er, wie ich selber auch, selbstverständlich nicht. Die Verdauungsbeschwerden agnosziert er, wohl nur, und ihnen überhaupt einen Namen zu geben, als Symptome von Magenkatarrhe (stimmt gewiß nicht) und läßt nervöse Störungen gelten (auf die der Zingher gar nicht verfallen war). Was den Urlaub betrifft - er war geneigt ihn zu befürworten. Die Herabsetzung auf vier Wochen verdank ich mir selber und meiner alle persönlichen Wünsche ausschaltenden „Sachlichkeit“. Ich weiß nicht, soll ich mich über mich selber ärgern oder nicht. Hernach fuhr ich in die Stadt hinein, kaufte ein paar der neuen Inselbücher, saß eine halbe Stunde im Café Akademie und war mittags wieder heraußen.

Erfahrungsgemäß gibt es Patienten, die übertreiben, aber auch die, wie Ebner, die untertreiben.
Diese Kontrolluntersuchung hatte ihre Fernwirkung auf 2 Jahre später:

 

Samstag 16. November 1918
Vorgestern brachte der Ramler meine Urlaubsangelegenheit beim Inspektor vor. Es steht ihr nichts im Wege. Im Gegenteil, vor zwei Jahren schon hatte der Oberbezirksarzt den Bauhofer darauf aufmerksam gemacht, daß man mir, sobald nur günstigere Personalverhältnisse im Schulbetrieb es gestatten, einen mindestens halbjährigen Urlaub gewähren müsse.
Der Gedanke, mich nun doch an die Arbeit über das Wortproblem zu machen, beschäftigt mich immer wieder.

Dieser Sonderurlaub ermöglichte es Ebner, seine Fragmente zu verfassen.
Der letzte ärztliche Dialog:

Gablitz, 1. Juli 1931
Der Doktor kommt, untersucht mich sehr genau und konstatiert schließlich:
---------------------
Brief Ebner > Jone ,Kö II 744

Welchen Dialog der Arzt und sein Patient, Ferdinand Ebner geführt haben, wissen wir nicht.
Die letzte Tagebucheintragung erfolgte schon am 23.6.1931. Am 1.7.1931 begann Ebner diesen letzten Brief, der nicht abgeschickt worden ist.
Der Lehrerkollege Atzinger schreibt im Auftrag von Frau Ebner an Josef Humplik am 16.10.1931:

- seit dem 4. Oktober verfällt unser guter Freund immer mehr - Abends habe ich mit dem Arzt gesprochen: Lungen- und Darmtuberkulose, Agonie.
Kö II 758

Am 17.10.1931 ist Ferdinand Ebner gestorben.

 

Nächste Woche begeben wir uns auf die Spuren des Architekten Rudolf Wondracek (bei Ebner: Wondraschek). Spuren Sie mit!
Hör-Hinweis für kommenden Sonntag, 8.15 Ö1 "Du Holde Kunst" Gedichte über Wort und Sprache

Quellen:
Fotos: | © Sammlung Dr. Herbert Limberger

Otto Wagner Schüler

Rudolf Wondracek

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Am 9.1. war sein Geburtstag.
Im November jährt sich sein Todestag. Hören wir, was Ferdinand Ebner über ihn sagt:

Abb. 1: Portät Rudolf Wondracek jun. von Leopold Schmid © Stadtmuseum St. Pölten

a+b = Null______Eine Gleichung als Antwort

Erste Symphonie. Architekt Wondracek. St. Pöltner Konzert

(Ferdinand Ebner:
Notizen zu einer Geschichte meines geistigen Lebensganges, in Kö II 1050)
Ebner verwendet Wondraschek und Wondracek.

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Abb. 2: Josef Hauer eigenhändig; 1913 noch ohne Matthias

Ich plagte mich tagelang in Gablitz auf dem Klavier eines Kollegen, die Komposition technisch wenigstens halbwegs zu bewältigen, was mir natürlich nicht gelang, aber schließlich nahm mein williges Ohr die mir fremden Akkorde und Melodien- die klangen, als ob einer im tiefsten Schlaf aus einem schweren Traum heraus geheimnisvolle Worte spräche- nicht ohne Verständnis auf. Nur aus einem Satz, der als Tanz gedacht war, konnte ich absolut nichts heraushören. Über eine Entdeckung staunte ich am meisten. An einer Stelle, in wenigen Takten nur, klingt etwas auf, was Hauers Wesen total fremd ist: erotische Sehnsucht.
Diese erste Komposition wurde mir gewidmet. --- Kö II 1062 ---


In dieser Zeit verkehrte ich, zuerst in Waldegg, dann in Wien von Gablitz aus, mit dem Dr. Räuscher, der damals noch an der Wiener Universität studierte. Ich machte ihn mit dem Hauer bekannt, und er gab die Bekanntschaft an den Architekten Wondraschek in St. Pölten, einem Schüler Otto Wagners weiter.

Dieser Wondraschek wollte sich der Musik widmen und wurde nur auf Wunsch seines Vaters hin Architekt.

Diese zwei St. Pöltner interessierten sich außerordentlich für den Hauer und beschlossen eine öffentliche Aufführung. So kam, von Wondraschek inszeniert, der „Moderne Musikabend“ in St. Pölten zustande mit dem Pianisten Dr. Reti aus Wien und einem Sänger, Karl Fälbl aus St. Pölten, der einige Lieder von Gustav Mahler sang.

Dieser Dr. Reti, ein „Klaviertiger“ und sein Begleiter, ein gewisser Freistadtl…spielten die erste Symphonie herunter. Aber es gab reichliches Beifallklatschen und keinen Misston. --- Kö II 1061 ff ---

Der Hauer verdankt seinen schönen Applaus dem Bildhauer Fraß und seinem Bruder, die mutig genug waren, nach einem Moment des Schweigens am Schluss des 7. Satzes – ein Moment, in dem der Deutsch und ich wie auf Nadeln gesessen sind, der Hauer war während der Aufführung draußen im Korridor und hat eigentlich nichts gehört- das Zeichen zum Applaus zu geben, dem das Publikum, das sich auch sonst tadellos benommen hat, willig und soviel ich weiß, widerspruchslos Folge leistete.
Jetzt sind wir alle, (auch)der Wondraschek und ich ..…. hinausgelaufen und haben den Hauer hereingeschleppt und auf das Podium hinaufgeschoben.
--- Brief 9.6.1913 E >LK Kö III 28 ---

Dann versammelte sich ein kleiner Kreis um den Hauer im Hotel Pittner, später im Kaffeehaus. Als wir endlich die Betten aufsuchten, sangen die ersten Vögel.
Dass eines der Lokalblätter die Symphonie vernichtend kritisierte, war nahezu selbstverständlich. Gezeichnet war die Rezension mit a+b. Der Räuscher und der Wondraschek erwiderten in einem anderen Lokalblatt, heftig gegen das Spießbürgertum in der Kunstauffassung polemisierend und dem Rezensenten Citate aus Oskar Wilde und Karl Kraus an den Kopf werfend, um schließlich zu konstatieren: a+b=o Damit war die Sache erledigt.
--- Kö II 1064 ---

Kommt es zu dem von Ihnen und dem Herrn Wondracek geplanten Klavierabend, so ist es ja nicht ausgeschlossen, dass wir uns in St. Pölten sehen.
--- Briefentwurf an Josef Räuscher 25.12.1913 in Wels. Kö II 54 ---

Dr. J. Räuscher und Architekt Wondracek schafften es auf diese Weise ins Musiklexikon.

Musiklexikon:
Musikalisch gebildet, zog Wondraschek bereits 1913 einen Vergleich zwischen der Lehre J. M. Hauers und A. v. Weberns. Durch seine und J. Räuschers Vermittlung fand am 7.6.1913 in St. Pölten im Rahmen eines Modernen Musikabends die erste öffentliche Aufführung eines Werks von Hauer statt.

Im Architektenlexikon reicht für Rudolf Wondracek ein Absatz nicht.
Begeben wir uns auf Spuren des Wondracek als

Dialogischer Rundgang:

Vom Bahnhof gehen wir in die Altstadt, in die Brunngasse 7, Blick nach oben, Art Deco. Rathausplatz.
Wiener Straße 12: Atelier Wondracek: wir läuten : Ist der Herr Wondracek da?
Ja. Aber ich bin der Vater, der Stadtingenieur von St. Pölten. Ich habe auch Einiges gebaut, renoviert: jüdischer Friedhof, etc.

Was Sie sind gerade am Haus Brunngasse 7 vorbeigekommen: 1901.Das waren halt noch Zeiten. Das Haus ist von mir (gemacht).
Ah, von meinem Sohn wollen Sie auch was sehen:
Hier die Wiener Straße Richtung Traisen: Am Neugebäudeplatz, da ist der Brunnen frisch saniert, dreieckig, auf einer Säule nicht die römische Wölfin, der Passauer Wolf.

Abb. 3: St. Michael am Wagram, eingeweiht 9.10. 1938


Wenn Sie schon dort sind, weiter über die Traisen, dann kommen Sie vielleicht in die Rudolf Wondracek Straße: nach meinem Sohn benannt. In der Nähe finden sie auch St. Michael. Schaut auch gut aus. Kirche mit Campanile und Laubengang. Michael erinnert an den Bischof Michael Memelauer.

Aha, Sie wollen mehr sehen:
Zurück über die Traisen, Traisen aufwärts, Geheimtipp:
Handel Mazettistr. 1-5, ein Super-Wohnhaus von meinem Sohn, auch frisch hergerichtet.

Abb. 4: Wohnhausanlage Handel Mazetti Str.

Abb. 5: Atelier Wondracek jun.

Dann zu den Siedlungsbauten der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts und schauen Sie die Häuser in der Waschblau Siedlung an. Das war Stadterweiterung! Leistbares, qualitätsvolles Wohnen! „Neues Bauen“ , holländisch eben. In die Munggenaststraße hat er sein Atelier verlegt. Vielleicht finden sie ihn dort.

Ja, Kirchen:
St. Michael am Wagram hab ich schon g sagt, schauen Sie kurz in St. Josef vorbei. Dann gehen Sie zum Rathausplatz zurück. In der Prandtauerstraße ist das Stadtmuseum, die haben seinen Nachlass. Und zu St. Josef hat mein Sohn einen sehr modernen Entwurf geliefert, der leider nicht realisiert worden ist. Im Stadtmuseum sind viele Entwürfe und Pläne.

Vom Stadtmuseum in die Prandtauerkirche. Das war alles ein Kloster der Karmelitinnen, gestiftet von der Montecuccoli, aber von Josef II bald darauf aufgehoben. Die Kirche wurde profaniert, Munitionslager. Mein Sohn hat daraus wieder eine Kirche erstehen lassen.

Sind Sie mit dem Auto da ?
Fahrn Sie nach Sigmundsherberg, schöne, ideenreiche Kirche, mit den drei Ebenen:
Der Versammlungsplatz im Freien, weit und groß,
einige Stufen zur Ebene der Kirche
und noch weniger Stufen zur Ebene der Zelebration.

Dann nach Klosterneuburg, St. Leopold, ein schlichter Bau, 1936/37.
Und in Wien da hat mein Sohn studiert:

Staatsgewerbeschule, Technische Hochschule und Akademie der bildenden Künste, beim Otto Wagner.

Bei ihm hat er auch ein Praktikum gemacht, und dann noch eines beim Fabiani. Kennen Sie die Urania? Die ist von ihm.

Abb. 6: Kirche Sigmundsherberg

Abb. 7: Wondracek vor den Stufen im Heldentor; Bildausschnitt © Stadtmuseum St.Pölten

Bevor mein Sohn, in Wien die Arbeit am Heldentor gewonnen hat, 173 eingereichte Entwürfe !!, war er in Triest, wieder beim Fabiani, dann 6 Jahre in Prag und auch Berlin und schließlich ist er mir nachgefolgt: Hochbaureferent hier in St. Pölten, zuletzt noch 8 Jahr freiberuflich.

So das wär‘s. Sie können aber auch noch zum Pumpenhaus im Süden der Stadt gehen.

Da fällt mir ein:
Wenn Sie von Sigmundsherberg nach Klosterneuburg fahren, machen Sie einen Stop in Korneuburg beim Rathaus, dort hat ein Rudolf Wondracek, der Stadtingenieur, bei der Sichtung der eingereichten Pläne mitgewirkt.

1893: Das war vielleicht ich, mit 33 Jahren, aber ich kann mich nicht mehr so genau erinnern.

Ei ja, noch was:
St. Pölten, Herzogenburgerstrasse 32, das Blaue Haus.
Das ist gar nicht blau.

Ja, Herzogenburg: Sie waren ja in dem Konzert der Modernen Musik. Haben Sie gelesen, was der Ebner dazu schreibt:
Also, auf Wiedersehen!

Ebner in Josef Matthias Hauer: --- Kö II 1061 ---
Hauer hatte damals schon komponiert, in Krumbach eine Messe im Beethovenstil, deren Aufführung im Jahre 1914 in Herzogenburg der dortige Stiftskämmerer Haas veranlasste, der Hauers erste Symphonie auf dem Musikabend in St. Pölten gehört hatte.

Ebner im Brief vom 9.6.1913 an Luise Karpischek:
Einige wohlwollende Äußerungen haben wir auch zu hören bekommen und insbesondere mag sich der Hauer mit Recht über das freuen, was der Kämmerer des Stiftes Herzogenburg (ein kleiner, buckliger Geistlicher, der mir wegen seines ungemein interessanten vergeistigten Gesichts im Publikum aufgefallen ist) gesagt hat.

Ebners zusammenfassendes Urteil über den musikalischen Abend:
Übrigens – die Symphonie ist herzlich schlecht gespielt worden. Ich kann s besser.

Wondraschek und das „Lächeln Gottes“ :
Ich muss noch zweier Kompositionen (des Hauer) der letzten Jahre gedenken, die mir besonders gut gefielen. Die eine ist eine Klavierstudie, der lieblichen Anna Höllering gewidmet, einer kleinen Schauspielerin und Freundin Ittens und seiner späteren Frau. Diese Studie darf, wenn sie richtig gespielt sein soll, über die Saiten gleichsam nur gehaucht werden, muss man vergessen, dass das Klavier ein Hammerwerk ist. Wondraschek nannte sie das „Lächeln Gottes“. --- Lebensskizze, Josef M. Hauer Kö II 1076 ---

Abb. 8: Gedenktafel Herzogenburgerstrasse

Es sind die Werke Hauers Opus 16,17 aus 1919
Nächste Wochenschau: Ebners Bruder, Hans, mit seiner in Sydney geborenen Jeannie.
Kommen Sie mit nach Australien!

Abb. 9: Werbeanzeige im Bote von Ybbs,19.5.1900,
Online Archiv der Wochenzeitung Bote von Ybbs

Fakten:

Rudolf Wondracek sen 1860 - 1928, Baumeister, Stadtingenieur; oo Maria geb. Fluck

Rudolf Wondracek jun 9.1.1886 - 21.11.1942, oo Maria Petrova 1921,

Moderner Musikabend 7.6.1913 St. Pölten Hauer, Schönberg, Debussy, Mahler

Josef M. Hauer 1883 – 1959

Ferdinand Ebner 1882 – 1931

Dr. Josef Räuscher 1889 – 1937

Dr. Rudolf Reti 1885 – 1957

Quellen:
Ferdinand Ebner : Notizen, Tagebücher, Lebenserinnerungen Kösel Verlag Kö II, Briefe Kö III
Fotos | 1 und 7 Stadtmuseum St. Pölten mit herzlichem Dank an Dir. Thomas Pulle
übrige © Sammlung Dr. Herbert Limberger

Australien

gone but not forgotten

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Abb. 1: Ankündigung aus dem Ausstellungskatalog 1981

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Abb. 2: Bildausschnitt: Jeannie

Jeannie Ebner am 24. Jänner 1982, Gablitz
Zu der Zeit, wo wir noch das große Haus in Wiener Neustadt hatten, gab es ja viel Verwandtenbesuch, vor allem zu Weihnachten. Und da kam dann auch immer Ferdinand Ebner mit seiner Frau, der Sohn Walter war damals noch nicht auf der Welt, zu uns zu Besuch.

 

Ferdinand Ebner Sonntag 3. Oktober 1920.
Gestern mittags war, ganz unvermutet, der Hans mit Frau und Kindern da.

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Down under:

22.12.1919
Von Hans kamen zwei Briefe, einer mit einem beigelegten Brief seiner zweiten Frau und der andere mit einer Familienphotographie.
Die nächsten Weihnachten will er schon hier in Europa sein.

Dienst. 14. Okt. 19. Brief aus Australien.
Hans schickt Geld nach Österreich, wovon 10 Pfund Sterling für mich bestimmt wären.

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11.12.1919
Karl Heller zahlte mir die 4983 K von Hans aus. Einkäufe – wahnsinnige Preise.
Dienst. 9. Dez. 19.
Gestern Nachmittag bei Karl Heller wegen des Geldes von Hans, das die Bank endlich auszahlt.
Durch die fünfwöchentliche Verzögerung ist der Betrag um nahezu 25% angewachsen.

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22.4.1919
Brief aus Wels mit einem vom Hans.
Seit Herbst 1914 die erste Nachricht von ihm. Er hat sein halbes Vermögen eingebüßt, aber – er hat eine Frau, zwei Kinder, wenn ich recht verstanden habe, und fühlt sich sehr glücklich und also wäre ja alles in Ordnung.
Es scheint, daß er wieder nach Österreich zurückkommen will.

Hans in den Notizen zu einer Geschichte meines geistigen Lebens:

Erste Erwähnung nach 3 Seiten: Kö II 1037ff:
Ebenso der Bruder Hans entfremdet: lernte beim Onkel das Schankgewerbe.
Hans gehörte dem Turnverein, der Pflegestätte des deutschnationalen Gedankens, an, war natürlich Schönerianer, Übertritt zum Protestantismus (samt Ernestine). (Kaufmannsstand- reich werden- im unheilvollen Bann des Geldes –
Australien –
Rückkehr nach dem Krieg -Einbuße des Vermögens)
Hans in Österreich (wieder) abenteuerliche Rückfahrt nach Australien (vor Juni 1914)
Rückkehr des Hans aus Australien. Das Dollarpaket. Mein Verhältnis zu ihm.
Die Frau Dr. Lamel im Verein mit dem Hans: Hartenstein.
Finanzielles: Hans hinter meinem Rücken.
Pospischil sah den frühen Tod des Hans voraus.
Wohnungseinrichtung (Geld von Hans geborgt).
Aufsatz Die Wirklichkeit Christi; Tod des Hans

Abb. 3: Johann, Hans Ida und Jeannie Ebner

In der Volkszählung 1880 wird Hans als Johann Ebner geführt, wie der Vater, also Johann Ebner jun. * 26.3.1870, Schulkind.
Er ist nach Australien ausgewandert. Mehrheitlich wird angeführt mit 17 Jahren, einmal mit 19 Jahren. Beides erscheint mir in Hinblick auf die damalige Volljährigkeit nicht plausibel.
Die von Ferdinand Ebner angeführte Ernestine könnte seine erste Frau gewesen sein.
Jedenfalls hat er in Australien ein „Vermögen“ gemacht und die Hälfte wieder eingebüßt.

Exkurs 1: politisch-wirtschaftliche Situation und 1.Weltkrieg
Einwanderer aus Österreich und dem deutschen Reich waren in diesem Teil des British Empire angesehen. Mit Kriegsbeginn waren sie plötzlich “Feinde“, enimy alien. Es genügte bereits der Verdacht, “illoyal“ zu sein, um in ein Internierungslager gesteckt zu werden. Damit war es auch heikel, mit möglichen „Feinden“ Geschäfte zu machen oder bei ihnen zu arbeiten. Die deutsche Sprache wurde in Schulen verboten, deutsche Schulen wurden geschlossen.
Dass Hans und seine Frau in dieser Situation beschlossen, in die „Heimat“ zurückzukehren, ist mit „Heimweh“, wie es oft zu lesen ist, ungenügend ausgedrückt.

Donnerst. 22. April 1920.
Am Montag vor acht Tagen kam der letzte Brief aus Australien.
Hans kommt diesen Sommer noch zurück und gedenkt, das Existenzarrangement unserer Familie sich angelegen sein zu lassen. Auch was mich betrifft.
Eine Entlastung meines Lebens in dieser Hinsicht brauchte ich wohl. Ob ich mich aber auf eine Entlastung, wie sie Hans mir vorschlagen wird, auch tatsächlich einlassen kann, das ist zumindest fraglich.
Denn mit der Welt des Handels, in deren Ungeist diese Welt zugrundegeht, will ich denn doch nichts zu schaffen haben. Und wie sollte mein Bruder anders wo Rat wissen?

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7.9.1920
Hans bereits in Zürich.

Sonnt. 3. Okt. 1920.
Meine Nerven scheinen mehr als die Eintönigkeit meines Gablitzer Alltags überhaupt nicht zu vertragen. Gestern mittags war, ganz unvermutet, der Hans mit Frau und Kindern da. Durcheinander einiger Nachmittagsstunden. Eine ‘Unmöglichkeit’ nach der andern. Nach der Jause bei der Mizera, zur Bahn, wir fuhren gemeinsam nach Wien, ich dann weiter nach Neustadt.
Des unangenehmen Eindrucks dieses ganzen Nachmittags wurde ich kaum Herr. Ich sehe wieder einmal deutlich genug die Unmöglichkeit, in dieser Welt, d. h. in meiner Welt, und das ist ja für mich diese Welt, zu existieren. Mein ‘Arrangement’, wie es der Hans im Auge hat: ich wußte ja im vorhinein um seine Inacceptabilität. Dabei aber sehe ich mich jetzt schon in eine mir peinliche wirtschaftliche Abhängigkeit von meinem Bruder geraten.
Auf der Fahrt nach Wien sprachen wir über den Brenner-Verlag. Das hatte sich ganz ungesucht ergeben. Die Möglichkeit einer Finanzierung des Verlags durch den Hans – diese etwa vermitteln könnend habe ich ja nicht nur den Brenner als solchen im Auge, sondern Ludwig Ficker selber auch – steht knapp neben der absoluten Unmöglichkeit dieser Vermittlung aus menschlich-persönlichen und darum letzten Endes geistigen Gründen.

8.10.1920
Gestern besuchte ich den Hans in Baden. Die hoffnungsfrohe Stimmung des Morgens schlug nach wenigen Stunden momentan um. Und dann kam ich wieder in die allergefährlichste Nähe von Selbstmordgedanken.
Mein Bruder und ich – wir leben und reden an einander vorbei. Den Gedanken, ihn für die Finanzierung des Brenner-Verlags zu gewinnen, habe ich selbstverständlich schon vollständig aufgegeben. Seinen Vorschlag, die Erziehung seiner Kinder zu übernehmen, erwäge ich, ebenso selbstverständlich, gar nicht mehr. Meine Zukunft ist dunkel, meine Gegenwart unerträglich. 

15. Juli 1922 nach Neustadt.
Hans staffiert seinen Trödlerladen aus, d. h.. er behängt die Wände seines Zimmers mit allen möglichen und unmöglichen Bildern. Mutet mir abermals eine Fahrt nach Zürich zu. Nun aber hat mir die Anna auf meinen letzten Brief, nach dem Tod der Mutter, nicht geantwortet. Und daß sie mir auf diesen Brief nicht geantwortet hat, belehrt mich über vieles. Nun, an die Unerträglichkeit der Familienatmosphäre sollte ich ja gewöhnt sein.

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Abb. 4: Lebensbaum Famile Ebner; Ausstellung 1981

 

Exkurs2: Ferdinand Ebner das „Einzelkind“
Ferdinand einziger Bruder, Hans, ist 12 Jahre älter. Anna sogar 14 Jahre. Mit beiden gibt es immer Spannungen. Lediglich mit Maria, Mitzi, kann er ziemlich gut, sie ist 10 Jahre älter. In diesen 10 Jahren gab es noch die Josefine, dann eine Susanne und den Ferdinand I. Susanne und Ferdinand sind als Kleinkinder gestorben, Ebner kannte sie daher nicht. Josefine ist aber auch schon Jahre tot. Sie hatte einen Pharmazeuten geheiratet und starb 1899 an Tuberkulose.

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Zurück zur wirtschaftlichen Situation von Bruder Hans (entnommen: wien-wiki):

Mit dem Restvermögen kaufte Hans (in Österreich) zwei Speditionen, eine Maschinenfabrik, Anteile eines Kohlebergwerks und zwei Häuser.
Und dort weiter zur Tochter

Jeannie Ebner:

Ihr erstes Gedicht schrieb Ebner nach eigener Erinnerung mit zwölf Jahren. Durch den Tod des Vaters und die allgemeine Wirtschaftslage verarmte die Familie und Ebner musste das Gymnasium verlassen, weil die Mutter das Schulgeld nicht mehr aufbringen konnte. Außerdem waren sie gezwungen, ihr Haus aufzugeben. Jeannie Ebner besuchte die Handelsschule und begann eine Lehre in der familieneigenen Spedition. 1939, mit 21 Jahren, zahlte sie die Miteigentümer aus und übernahm bis 1945 die Leitung der Spedition mit immerhin 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Nebenbei studierte sie Bildhauerei an der Kunstakademie in Wien. 1945 wurden das Wohnhaus und die Geschäftsräume durch Bombenangriffe zerstört. Ebner zog mit ihrer Mutter auf einem Pferdewagen nach Tirol, wo sie ein Jahr gemeinsam in einer Berghütte am Kitzbüheler Horn lebten. Danach ging es weiter nach Golling in der Nähe von Salzburg, wo sie im Kunstgewerbe arbeitete und unter anderem Souvenirs aus Keramik herstellte. Als Ebner 1946 wieder nach Wien kam, lebte sie unter anderem von Englisch-Nachhilfe und vom Schleichhandel. Bei Letzterem lernte sie ihren späteren Mann Ernst Allinger kennen, der Chemiker war und Saccharin für den Schwarzmarkt erzeugte. Von 1946 bis 1949 arbeitete sie als Stenotypistin in einer Autowerkstätte der amerikanischen Streitkräfte. (Ende Biografie).

Ich hatte Jeannie Ebner 1981gebeten, nicht nur aus ihren Werken zu lesen, sondern auch zu ihrem Verhältnis zu Ferdinand Ebner auszuführen:

Jeannie Ebner sagte am 24.1.1982 (Transkription vom Tondokument : Limberger)

Man hat mich gebeten, ein paar Worte über meinen Onkel Ferdinand Ebner zu sagen.
Ist das bitte hinten hörbar? Ja.
Das ist ein bisschen schwierig, denn er ist gestorben, als ich noch ein kleines Kind war. (13 Jahre).
Ich habe trotzdem aber seine Physiognomie, seine Figur, seine Bewegungen, und sogar seine Stimme ganz deutlich in Erinnerung.
Zu der Zeit, wo wir noch das große Haus in Wiener Neustadt hatten, gab es ja viel Verwandtenbesuch, vor allem zu Weihnachten. Und da kam dann auch immer Ferdinand Ebner mit seiner Frau, der Sohn Walter war damals noch nicht auf der Welt, zu uns zu Besuch und es ist eigentlich alles, was ich darüber sagen kann.

Dann ist mein Vater gestorben, ich war damals 8 Jahre alt, ungefähr, 1926 wir mussten das Haus verkaufen, in ein kleineres ziehen und meine Mutter hat sehr zu kämpfen gehabt mit … es war die Wirtschaftskrise, die Boden-Creditanstalt, der große Krach. Wir haben ein Ding nach dem anderen verkaufen müssen.
Und mit Verwandtenbesuchen und Einladungen, das ging überhaupt nicht mehr.
Ich kann mich zwar erinnern, dass die Frau von Ferdinand Ebner, die Tante Mitzi, mit dem kleinen Walter, ein bildhübsches, blondhaariges Bübchen noch einmal in dem kleineren Haus zu Besuch war. Das ist so ziemlich alles, was ich weiß.

Abb. 5: Klein Walter; Ausstellung 1981

Ich habe eigentlich das Werk Ferdinand Ebners gar nicht wirklich studiert, das hat einen bestimmten Grund. Dieses Foto da ist mir einmal in die Hand gekommen zu der Zeit, wo ich bereits geschrieben habe, und ich habe festgestellt, ich sehe dem Onkel Ferdinand bedeutend mehr ähnlich als meinem Vater und meiner Mutter. Und es hat sich da scheinbar über s Eck etwas vererbt:
meine Eltern waren absolut nicht fromm und haben mich auch nicht fromm erzogen.

Abb. 6: Programm Jeannie Ebner

Ich bin aber eigentlich seit meiner Kinderzeit an ein sehr religiöser Mensch gewesen und bin es bis heute. Und ebenso liegt mir die religiöse Grübelei, das Metaphysische.
Die philosophische Ader von Onkel Ferdinand hat sich offenbar in mir fortgesetzt und auch die literarische, nur ist es bei mir nicht die Philosophie geworden, sondern die Literatur. Ich habe aber durch diese Erkenntnis und diese Ähnlichkeit das Gefühl gekriegt, eigentlich sollte ich ihn gar nicht lesen, um nicht zu beeinflussen. Freizuhalten. Du bist ja doch offenbar aus dieser Ecke da.

Nun gab es heuer (1982) ein kleines Ebner Symposium, in ... ah, helfen Sie mir, in ... (Gablitz) nein, das kommt erst, ... in … Schwechat und ... ich bin damals zufällig von einem Freund mitgenommen worden, der ein Schüler war …. Professor … mein Namensgedächtnis is … ..,und habe mir dort angehört, was die Professoren über Ferdinand Ebner sagen, da hat einer Zitate vorgelesen, und da habe ich mir gesagt, wenn ich dieses Zitat vorher gekannt hätte, würde ich gewisse Stellen in diesem Buch gar nicht mehr geschrieben haben. Denn ich hätte absolut das Gefühl, dass es ein Plagiat ist, das sind seine Gedanken, die ich übernehmen würde, in Wirklichkeit aber kamen die Zitate hinterher.

Es gibt noch so eine merkwürdige Stelle da drinnen, die hab ich überhaupt erst vorgestern entdeckt. Nämlich bei Grillparzer im Armen Spielmann.

Ich versteh überhaupt nix von Musik und diese Zusammenstellung von drei oder fünf oder neun Flötentönen, da gibt es eine kleine Stelle in einem Absatz im Armen Spielmann, wenn ich das vorher gelesen hätte, hätte ich das auch nicht zu schreiben gewagt.


Eigentlich hat man mit der Bildung bei literarischer Produktion die Bildung nimmt einem mehr als sie einem gibt, weil man dann nicht vollkommen frei und unbeeinflusst auch vom Unbewussten her das schreibt, was man denkt. Es ist ja gar keine Schande, dass Menschen dasselbe denken oder eine ähnliche Ausdrucksweise haben, eigentlich sogar ein Beweis dafür, dass dieser Gedankengang stimmen könnte. Aber in dem Moment, wo man s schon kennt, traut man sich nicht. Und daher bin ich mit dem Werk Ferdinand Ebners auch nicht sehr vertraut. Ich habe ein altes Brennerheft, das hat mir einmal eine Freundin geschenkt, und ich habe ein Buch, das mich vom Titel her natürlich besonders anspricht Wort und Liebe. Und die anderen Sachen - vielleicht könnte ich es jetzt schon riskieren, zu lesen, weil ich inzwischen schon eine alte Frau (64) und eine eigenständige Schriftstellerin geworden bin … mit einer eigenen Gedankenwelt.

Abb. 7: Ausstellung 1981

Nun möchte ich Ihnen ein paar Stücke aus diesem Roman vorlesen.

Er heißt 3 Flötentöne.
Und hat auch noch eine andere Bedeutung. Er wird von drei Frauen in der Ich-Form erzählt, immer ein Kapitel, Getrud, die alte Frau, ein Kapitel Jana, die Frau mittleren Alters, ein Kapitel, ein junges Mädchen, Tschuptschik. Und das wechselt immer ab. Es kann natürlich auch wieder bedeuten, das Alter, die Reifezeit und die Jugend. Das ist auch wieder ein Dreiklang dann.
Jetzt spricht Gertrud, die alte Frau:
Jetzt ist es schon seit langem so, dass wir beide schon langsam auf den Tod zugehen. Seit einigen Jahren warte ich immerfort darauf, dass du es merkst, oder etwas darüber sagst er dich zumindest durch irgendetwas verrätst … . Aber du hütest dich.
Früher gingen wir auf etwas anderes zu, etwas, das wir uns vorgenommen hatten, …
eine Wohnung, die groß genug wäre ...
ein eigenes Arbeitszimmer … und eines Tages, in meinem fünfzigsten Lebensjahr, war das erreicht.

Abb. 8: Ernst Allinger & Jeannie Ebner-Allinger

Im Buch sind es die Seiten 17 – 29 und 2 Seiten über das etruskische Paar, wobei der vorgelesene Text nicht immer mit der Druckversion übereinstimmt und kleinere Absätze sind immer wieder ausgelassen.
Nach einem Flötenspiel folgt S 167 bis 179, Jana, die Frau mittleren Alters um mit den letzten 3 Seiten des Buches zu schließen.
Wenn ich heute diese Lesung nach höre: „dass … ein schönes altes Kruzifix aufgestellt war ... Sein Gesicht war still und unverzerrt ...“ denke ich an Ferdinand Ebners Gedicht: Golgatha.
Wenn ich höre: “die drei Töne wurden mehrmals wiederholt, absteigend vom höchsten Ton zum tieferen und tiefsten, und danach in umgekehrter Reihenfolge“ denke ich an Hauers Tropen.


Es wird auch festgehalten, dass „Drei Flötentöne“ der erste Roman in der Ich-Form ist.
Es wird tatsächlich das „gleiche Eck“ sein, wie sich Jeannie Ebner ausdrückte.
Im Gedichtband „Sag Ich“ finde ich dieses „Eck“ in den nachfolgenden Zeilen:

Tot zu sein ist ein Zustand,
lebendig zu sein ist ein Werk,
das unsre Entschließung beansprucht.

Hier nur ist es uns möglich, das Unsere zu tun,
dort nur – zu sein.

Wir versuchen mit den für das Leben
Geschaffenen Worten
Die Deutung des Todes.

Die Sprache der Toten
Für den Fall, dass sie eine gebrauchen-
Ist uns fremd.

 

Abb. 9: Grabstein Ebner-Allinger in Wiener Neustadt, Detailansicht

Fakten:
Johann, Hans, Ebner 26.3.1870 – 1926 oo Ernestine ?

Ida Ganaus oo
Deren Kinder:
Hans Ebner jun. +
Jeannie Ebner -Allinger 13.11.1918 Sydney – 16.3.2004 Wien oo Ernst Allinger 1921 -1989

 

 

Nächste Woche schließt sich der Bogen vom Todestag zum Geburtstag von Ferdinand Ebner.

Ich lade ein, zur digitalen Geburtstagsfeier, dieses Jahr unter dem Motto „Prassen in Marmelade“ dazu vielleicht ein Tasse Tee, die Ebner oft in Wiener Neustadt mit Luise beim Ofen genossen hat. „Hungern & Prassen ! Der Ernährungsweg zu den Fragmenten“ ist das Thema. Prassen Sie mit!

Quellen:
Ferdinand Ebner: Tagebücher
Jeannie Ebner: Mitschnitt der Lesung vom 24.1.1982, © Sammlung Dr. Herbert Limberger
Biografie www.geschichtewiki.wien.gv.at/Jeannie_Ebner
Nachlaß: Wienbibliothek im Rathaus/Handschriftensammlung
Drei Flötentöne, Styria Verlag
Sag ich, Gedichte Verlag Hermansen

140 Jahre Ferdinand Ebner

31.01.2022

Den 140.Geburtstag feiern.
Ich rege an: Prassen in Marmelade, heißen Tee und Ebner-Lektüre.
Wieso? Mit Ferdinand Ebner (mit)leben und lesen.

22. April 1918
Prassen in Marmelade, wenn man schon sonst nichts hat.

31. März 1918
Nach dem Abendessen Tee beim Ofen – „Schwelgen und Prassen“.

Und ein Hoppala vom

30. Jänner 1916
Heute vormittags kam mit der Post ein großes Paket mit Torte (mitten in dieser nun schon so schwer gewordenen Kriegszeit) und anderen guten Dingen: eines der Marmeladegläser war gebrochen.
Mir war nun leid um die besonders gute Marmelade und ich aß deshalb trotzdem etwas davon, selbstverständlich mit Vorsicht, um keine Glassplitter mit zu schlucken. Aber im Laufe des Tages …

Marmelade


Es gibt so viele erfreuliche Neuigkeiten, dass diese Wochenschau nur Ebners Geburtstag gewidmet wird. Der „Ernährungsweg zu den Fragmenten“ folgt kommende Woche.

Aktuelle Bücher:

    • "The Word & The Spiritual Realities" 2021
    • "La Parola e le Realta` Spirituali" 3.Auflage, 2022
    • "Brenner-Aufsätze" im LIT-Verlag, 2022

 

Veranstaltungen:

    • Gablitz: 31.1.2022,11.00 Dorfcafe. Geburtstags-Stammtisch
      _____________14.10.2022, 19.30 bei Familie Pauls, 6.Philosophisches Atelier
    • Frankfurt/Main: 31.1.2022, 10.00 -17.00
      ________________Ferdinand Ebner Studientag, Goethe-Universität, ev. theologische Fakultät
    • Wiener Neustadt: Kurze Gasse 7 Gedenktafel wird restauriert und wieder angebracht
    • Waldegg: Gedenken an Ferdinand Ebner 1902-1912

Pandemie
An Stelle von Präsenzveranstaltungen stellte ich für Sie eine Wochenschau ins Netz:

SEPTEMBER 2021
KW36 | Mein erstes Buch
KW37 | Dante + Ravenna
KW38 | Ebner - Baudelaire - Dante
KW39 | Paris - Purgatorium

OKTOBER 2021
KW40 | Gablitz, Hölle, Himmel, Fegefeuer
KW41 | FE 90. Todestag
KW42 | Schnitzler & Strindberg
KW43 | Neue Realitäten

NOVEMBER 2021
KW44 | Je me rebelle
KW45 | FE 45 Symposium Gablitz 1981
KW46 | Marie Mizera > Marie Ebner
KW47 | 200 Jahre Schule Gablitz

DEZEMBER 2021
KW48 | Adviento del TÚ
KW49 | Wiener Neustadt
KW50 | Büchertisch 1918
KW51 | Vater Unser
KW52 | international - lokal

JÄNNER 2022
KW01 | TELE-SKOPE
KW02 | Last Waltz
KW03 | Otto Wagner Schüler
KW04 | Australien

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Mit Ebners Geburtstag und der nächstwöchigen Nachlieferung endet meine “Wochenschau”.
23 Ausgaben auf www.ferdinand-ebner.at.
Ganz herzlichen Dank an Johannes Ebner und sein Grafik-Büro.
Wir, Johannes und ich, treten “leiser” mit einer “Monatsschau”, immer am zweiten Wochenende ab März 2022.

    • Sprachphilosophie in Polen
    • Wittgenstein-Ebner
    • 100. Todestag von Mutter Ebner
    • Dr. Josef Räuscher Das “lebendige” Wort in den Nachrichten, in der Berichterstattung

 

Ich brauche auch viel Zeit, um Fotos, Dias und sonstige Datenträger zu bearbeiten, die mir Franz Vormaurer übergeben hat.
Danke Herr Vormaurer

Mahlzeit und vergnügliches Lesen am 31.1.2022 !
Ihr Ferdinand Ebner - Animator Dr. Herbert Limberger, IFEG, Sektion Öffentlichkeitsarbeit.
Weiterhin ein gutes und gesundes Jahr 2022

Quellen:
Ferdinand Ebner: Tagebücher
Bild: © Dr. Herbert Limberger 

hungern & prassen

Der Ernährungsweg zu und mit den Fragmenten

Aus den Tagebüchern

16. März 1915 / Brief > Luise Karpischek
Ist es nicht schrecklich, was für eine Rolle seit einiger Zeit die Magen- und Nahrungsfrage in meinen Briefen spielt ?
Tatsächlich wird ab 1915 das Essen ein Tagebuchthema (Schrei nach Brot).

Abb. 1: Der Schrei nach

Der Schrei nach

1916 erlebt Ebner Oberösterreich als Schlaraffenland.1917 sind pro Monat mehr Essenserwähnungen als das gesamte Jahr 1915, Spinat wird nach wochenlangen tagtäglichem Sauerkrautessen herzlich begrüßt. Das Tagebuch 1918 hat 202 Buchseiten. Daraus habe ich die wichtigsten Passagen herausgesucht. So werden Not (hungern)und dazwischen seine Geist-Blitze sichtbar. Sichtbar werden auch viele seiner „Follower“ wie Hauer, der Oberlehrer, und vor allem die Kolleginnen, seine Schwester Mitzi und Luise Karpischek. Ohne deren Hilfe wäre „Das Wort und die geistigen Realitäten“ wohl nie (so) geschrieben worden.
Ebner war Lehrer und Denker. Ab 1915 hatte er heikle Nebentätigkeiten auszuüben:

... gemeindeamtliche Mehlversorgung; Vertrauensmann (einer von vieren) in Sachen Brot- und Mehlkommissionen, Brotkartenverteiler, Mitgliedsbeiträge für das Rote Kreuz (einsammeln)
... unmittelbarste Einsicht in gar viel Elend und Not.

Abb. 2: ; „Brot“ eh Eintragung datiert 13. Nov. 1916; richtig wohl 13.Okt.16

1918

 

Jänner 1918

7. Jänner 1918
begann ich mit den Vorarbeiten zur nächsten Lebensmittelkarten-Ausgabe.

11. Jänner 1918
Weihnachtspaket aus Wels, wohlbehalten Briefpapier, Zigaretten, Äpfel, Butter, Bäckerei.

12. Jänner 1918
Ich bin ein Mensch, der nur durch das Wort geistig erlöst werden kann.

14. Jänner 1918
Gestern nachmittag arbeitete ich für die Kartenausgabe am Samstag vor

15. Jänner 1918
Gestern ist die Schachtel Zigaretten angekommen (von Hellmuth aus Flandern).

16. Jänner 1918
Wer im Überfluss des Lebens dahinlebt– kann der das Vaterunser beten, ohne nicht jedesmal über die Bitte ums tägliche Brot geistig zu stolpern?

24. Jänner 1918
lange Sitzung der Brotkommission - Verordnungen über Verordnungen-

25. Jänner 1918
Das angekündigte Paket aus Wels kam heute an, Äpfeln, Brot, Butter, Honig, Zigarren, Zigaretten und sogar eine Schachtel Bäckerei. Das wäre zwar alles für meinen Geburtstag bestimmt, aber ich ließ gleich heute schon nicht die Gelegenheit zu einer
„festlichen“ Jause vorübergehen.

31. Jänner 1918
Meine wenigen Vorräte sind nun aufgezehrt, mit den geringen finanziellen Überschüssen muss ich auch wieder sehr sparsam umgehen –nachdem ich seit Weihnachten Woche für Woche unbedenklich eine Menge Geld ausgegeben habe
– mit einem Wort: es beginnt jetzt auch für mich wieder ein „zeitgemäßes“ Leben,
d.h. eine Zeit des unaufhörlichen Hungergefühls: Wie sich das ausnimmt, weiß ich vom vorigen Jahr her.

Februar 1918

4. Februar 1918
Was steckt denn eigentlich hinter dem Tun und Treiben solcher Menschen wie Trotzky und Lenin in Rußland ?

7. Februar 1918
Gestern erhielt ich ein Paket, das von Neustadt nach Gablitz vierzehn Tage unterwegs war.

27. Februar 1918
Inspektion. Meine Klasse ließ er (Inspektor) sich angelegen sein.
Heute ohne Jause, nicht einmal ein Stück trockenes Brot hab ich daheim. Aber so ist die Zeit, in der wir leben. Und es wird ja noch schlechter, viel schlechter kommen. Übrigens hab ich seit Jahresbeginn Woche für Woche „ungerechtes Brot“ gegessen, das mir die Weltner fleißig hatte zukommen lassen. Das hört sich jetzt natürlich auch auf. Mich muss es nur wundernehmen, dass mein Magen das Maisbrot der letzten Wochen so ziemlich ohne Protest ertrug.

März 1918

10. März 1918
fast lauter zum Entsetzen ausgehungerte Gesichter (Wiener Neustadt).

16. März 1918
Heute Lebensmittelkartenausgabe. Das hat sich allmählich zu einer Sache entwickelt,
bei der man wirklich verrückt werden könnte. Not und Elend wachsen grauenhaft an. Freilich, der Anblick des Hungernden muss einen aus diesem Traum aufrütteln.
Wozu aufrütteln? Zu den Realitäten des Geistes?
Man sollte es glauben. Du hast noch ein Stück Brot, und neben Dir steht einer, der keines hat, und Du gibst es ihm nicht? Du willst satt werden und lässt einen neben Dir hungern? Und angesichts dieser Tatsache willst Du weiter vom Geist träumen – oder meinst gar, aus diesem Traum zu den Realitäten des Geistes zu erwachen? Solange Du noch satt wirst und einer neben Dir hungert??
– – Selbstverständlich geht das alles mich selber an – – –

25. März 1918
Mittags beim Hauer –die Frau hat wahrlich dafür gesorgt, dass es mir in diesen zwei Tagen nicht schlecht ging in Wien.

26. März 1918
kam der Schach. Er brachte mir Zigarren und Zigaretten – natürlich hoch willkommen. Nach dem Abendessen blieben wir bei einer Flasche Wein bis gegen 9h sitzen.

31. März 1918
Ostersonntag Neustadt Nach dem Abendessen Tee beim Ofen – „Schwelgen und Prassen“.

April 1918

1. April 1918
Luise so unendlich lieb und gut und ich wehrlos, wenn sie mir ihr letztes Glas Marmelade opfert.

4. April 1918
Die Mizera ließ mir wieder einen halben Laib Brot zukommen, echtes Kornbrot – das bedeutet freilich inmitten des allgemeinen Maisbrotjammers ein Fest.

14. April 1918
Gibt es wirklich nur ein Mittel, vom Hunger nicht gequält zu werden, nämlich das Essen? Was aber soll ein Mensch wie ich essen, und wie soll er essen, nachdem ihm im Grunde genommen das Essen ein Gräuel ist?

18. April 1918
Abends brachte mir die Mizera zum Klebl ½ l Milch.

22. April 1918
Kollegin Höferl: drei große, sehr große Stück unverfälschten Kornbrots und sogar auch ein Stück Butter
Aufwachen zu den Realitäten des geistigen Lebens, das vermag nur der einzelne Mensch.
Prassen in Marmelade, wenn man schon sonst nichts hat.

30. April 1918
Von der Mizera ½ l Milch.

Abb. 3: Marmelade

Mai 1918

4. Mai 1918
Kornbrot und Speck von der Mizera.

5. Mai 1918
Nach dem Abendessen luden mich die zwei Lehrerinnen zu einer Tasse Weinkoch mit Biscuit ein.

6. Mai 1918
Bei den Lehrerinnen zum Jausenkaffee. Zwei Tage des Prassens inmitten der allgemeinen Hungersnot.

9. Mai 1918
Nach dem Abendessen bei den Lehrerinnen zur „Nachspeise“.

16. Mai 1918
Der erste Tag ohne Zigarren und Zigaretten – ein wenig provoziert von mir.

17. Mai 1918
Von der Höferl Brot und Butter.

23. Mai 1918
In der neuen Wohnung ( frisch ausgemalt? )

24. Mai 1918
Zigaretten vom Schach, eingepackt in ein Kistchen Mehl an den Oberlehrer.

30. Mai 1918
Namenstag Ferdinand:Gestern abends bei Luise, zuerst: Zwist wegen der Torte. Dann saßen wir noch bis gegen Mitternacht beisammen und rauchten viel. Ahnungslos(weggefahren) mit dem Paket, das mir Luise mitgegeben hatte. Entsetzen beim Aufmachen: Marmelade, Lebkuchen, Cakes. O diese Opfer!!!

Juni 1918

6. Juni 1918
Lieber über das Essen reden als über die deutsche Offensive im Westen.

9. Juni 1918
Paket aus Wels, das mir die Mitzi in ihrem Briefe in Aussicht gestellt hatte. Aber nicht wohlbehalten. Das muss man in Kauf nehmen. Nach dem Mittagessen war ich bei der Mizera auf Palatschinken.

12. Juni 1918
Gestern gingen mir die Zigarren aus – diesmal für mindestens 10 Tage.

16. Juni 1918
Erwartet hab ich den unerfreulichen Gast im Jänner schon, gekommen ist er aber erst in den letzten Tagen. Der Hunger nämlich. Auch nichts zu rauchen – –

18. Juni 1918
Die frohe Botschaft des heutigen Tages: Pro Kopf und Woche ½ Laib Brot.

Abb. 4: Palatschinken

 

Abb. 5: Zwetschken als "Zahlungsmittel"

20. Juni 1918
gegen Abend jedoch konnte ich ins Kaffeehaus gehen. Endlich wieder etwas zu rauchen. Approvisionierung: gemeindeämtlich eine Handvoll Zwetschken

21. Juni 1918
Heute habe ich mich tatsächlich sattgegessen, mittags und abends.
ein Unterrichten – vor leeren Bänken. In meiner Klasse fehlten heute zwei Drittel der Kinder. Auch das ist ein Protest gegen die Hungersnot.

22. Juni 1918
... weiter Schulstreik. Zum Hauer. Zigarren für mich – natürlich hochwillkommen.

23. Juni 1918
Der Jammer dieser Zeit hier in Gablitz, das man merkwürdiger Weise als „Landgemeinde“ behandelt (die sich also selbst versorgen könnte), sodass wir auch um die geminderte Brot- und Mehlration kommen. Ja, wovon soll denn nun eigentlich unsere Bevölkerung leben? Von den Buchenwäldern und Wiesen?

26. Juni 1918
... die Bemühungen der Gemeinde um Brot und Mehl erfolglos –
Aufzeichnungen über das „Wort“ und das „Ich“.

30. Juni 1918
Gestern bei Luise. Sie hatte Zigarren und Zigaretten für mich, sie teilte – was nützte all mein Protestieren – ihr Viertelchen Brot mit mir, sie hatte wieder Cakes gebacken, das Abendessen musste ich mit ihr nehmen wie gewöhnlich und als wir uns zum Schlafengehen verabschiedeten, brachte sie mir sogar noch eine Tasse Milch.
Diesmal hab ich an beiden Tagen im Gasthaus Mittag gegessen – ein teurer Spaß, aber wenigstens wurde ich satt. Weil mir Luise sonst nichts mitzugeben hatte, steckte sie mir zwei Stück Seife in die Tasche des Überrocks.
Gablitz: Von den zwei Lehrerinnen bekam ich Brot, mehr als einen halben Laib.

Juli 1918

1. Juli 1918
Der Zigarettentabak vom Schach ist glücklich angekommen. Auszahlung der Kriegszulage für das laufende Jahr: 17K für den Juli. Ich wollte mir wenigstens ein drittes Glas Honig dafür kaufen, kam aber zu spät.
die Bedeutung der Sinnesorgane; Ich träume von einer Zusammenstellung der „Fragmente“ über das Wort und die geistigen Realitäten zu einem Buch.

5. Juli 1918
Heute erhielt ich abermals vom Chef einen Laib Brot. Er hat ihn mir sogar selber in meine Wohnung heraufgebracht. Indirekt verdanke ich das Brot dem Schach, der nämlich dem Chef nun schon zweimal Mehl aus Rumänien geschickt hat.
Das ist eine Zeit,…die jeden auf die Wahrhaftigkeit seines Glaubens an Gott prüft. Glaubt denn der wirklich an Gott, der inmitten einer allgemeinen Hungersnot sich mit gutem Gewissen satt ißt? Und glaubt der an Gott, der es mit schlechtem Gewissen tut? Glaubt der an Gott, der nicht ohneweiteres bereit ist, seinen letzten Bissen Brot mit dem nächstbesten hungernden Kinde zu teilen? Glaubt der an Gott, der die Sorge, was er morgen essen und übermorgen anziehen werde, nicht Gott überläßt?
O himmlische Barmherzigkeit – sprech ich denn nicht von mir selbst? Wahrhaftig, die Zeit ist furchtbar.
Die Umrisse einer „pneumatologischen“ Grammatik, wie sie schon längst in mir vorbereitet liegen, tauchen jetzt wieder auf.

7. Juli 1918
Heute bekam ich einen halben Laib schönes Kornbrot, ich weiß noch nicht recht ob von der Mizera oder von der Höferl. Für den Augenblick wäre ich also nicht schlecht versorgt.
Morgen soll wieder eine Frauendeputation ins Ernährungsamt gehen, nachdem merkwürdiger Weise der Bürgermeister keine weiteren Schritte mehr tut und ruhig der buchstäblichen Aushungerung der Gemeinde zusieht.
Der Tag begann mit Aufzeichnungen über das Wort.

9. Juli 1918
Wer möchte eine Provinz des geistigen Deutschlands der Gegenwart sein? Inzwischen hungern wir regelrecht, in Hoffnung auf den Endsieg.

11. Juli 1918
Brot von der Höferl.

12. Juli 1918
Gestern abends musste ich wieder zum doppeltkohlensauren Natron greifen.

13. Juli 1918
Zigarren !!! (bei Hauer)

14. Juli 1918
Zum Mittagtisch war ich beim Hauer. Eigentlich haben wir wie Kriegsgewinner gegessen. Nachher auf eine Stunde in einem stillen Kaffeehaus, zur Jause wieder beim Hauer, um 6h fuhr ich zurück. Die Magenkrämpfe sind also richtig wieder da, als Ferienbescherung.
... las ich ihr (Luise) aus meinen jüngsten Aufzeichnungen über die Sprache vor.

22. Juli 1918
Der Hauer brachte Zigarren mit – und einen Marillenkuchen von der Frau. Beim Klebl tranken wir Kaffee und Apfelmost und aßen den Marillenkuchen.

25. Juli 1918
Zum Abschied gab sie ( Frau Hauer) mir ein „Packerl“ mit, dessen mannigfaltigen Inhalt ich erst hier heraußen entdeckte.

26. Juli 1918
Ein Wecken Kornbrot von der Sekretärin. Mittags Schweinefutter.

August 1918

1. August 1918
Heute Kriegszulage für dieses Jahr (Nachzahlung) über 500K. Brot von drei Seiten –die Leni hat mir ein Laibchen aus meinem Mehl gebacken, die Sekretärin hat auch (!) mein Mehl gestern bezogen (ohne meine ausdrückliche Zustimmung: man sieht, wie es die Gemeindefunktionäre machen und machen können) und daraus zwei Wecken gemacht und überdies kam heute wieder der Hammerbrotwagen. Mit Zuhilfenahme einiger – teuer genug bezahlter – Marillen aß ich mich mittags und abends satt.

3. August 1918
Schlechte Nacht – mit der Art und Weise, wie ich mich gestern und vorgestern sattgegessen habe, ist mein Magen augenscheinlich nicht einverstanden.

4. August 1918
Mittags prassten wir natürlich – wahrhaftig. Dieser Hauer lebt jetzt, als ob er ein Millionär wäre. Sich satt essen will freilich jeder in dieser Welt und wo es einer tun kann, tut er’s.

8. August 1918
Beim Abendessen saß ich mit dem Sekretär beisammen, der mir – sehr zu rechter Zeit – zu einigen Zigarren verhalf.

12. August 1918
Bald nach dem Mittagessen kam der Hauer. Er brachte mir meine Wochenration Zigarren in einem Paket von der Frau. So frettet man sich in dieser Zeit mit „milden Gaben“ durch.
Der Himmel möge es mir vergönnen, mein Buch über das Wort und die geistigen Realitäten
- mag es fragmentarisch wie immer ausfallen- fertig in die Welt hinaus zu bringen.

13. August 1918
Die Mitzi schildert sehr verlockend das Land, wo Milch und Honig fließt.
Der Hauer hat mir auch von seinem Zigarettentabak aufgedrängt.

14. August 1918
Mittags sehr ärgerlich über das ganze unzulängliche Schweinefutter. Die Sardinen, die mir gestern die Frau Hauer mitgab, mussten mir aus der Not helfen. Aber es war mühevoll zu ihnen zu gelangen und überdies protestierte der Magen heftig gegen sie. In diesen Tagen machte ich die Bekanntschaft eines gewissen Flammer, Besitzer des „Eisernen Hauses“. Er lud
mich ein, stellte mir Obst aus seinem Obstgarten in Aussicht und versprach auch, mir gelegentlich Lebensmittel aus Wien, Würste und dgl. zu besorgen.

16. August 1918
Neustadt. Beim Abendessen haben wir – kriegsmäßig zwar – aber sehr geprasst.

19. August 1918
... beim Hauer. Jause, reichliches Abendessen, Paket für die Reise im Nachtpersonenzug. Im übrigen lässt sich hier in Wels noch immer ganz gut leben, ohne dass man ein
Kriegsgewinner zu sein braucht. – Mitzi hat Zigarren, zwei Kistchen, und Zigarettentabak aufgehoben für mich. Höchst willkommen.

24. August 1918
... peinlich empfinden lässt, wenn man mir außerordentliche Gefälligkeiten und Liebenswürdigkeiten, Liebeswürdigkeiten im wahrsten Sinne des Wortes erweist. Ich habe einen tiefverwurzelten Hang zur Undankbarkeit in mir, eine innere Dankunfähigkeit.

26. August 1918
Wieder hat mir Luise ein Glas Marmelade mitgegeben.

September 1918

12. September 1918
Drei Tage in Neustadt. Festtage im grauschwarzen Alltag der Kriegsnot, Oasen in der Esswüste dieser Zeit (das gestrige Mittagessen beim Beisteiner ausgenommen). Heute kam ein Kistchen aus Rumänien an – unversehrt – mit Mehl, Marmelade, Zigaretten und Tabak.

22. September 1918
Die zwei Lehrerinnen haben wieder begonnen, mich zu „versorgen“. Einmal luden sie mich zum Abendessen ein, vorgestern ließ mir die Höferl Butter und Brot zukommen, heute schickten sie mir nach dem Mittagessen zwei Stück Pflaumenkuchen.

24. September 1918
Gestern zum Abendessen bei den Lehrerinnen, wozu allerdings ich diesmal meinen Teil beigesteuert hatte, Mehl und Marmelade.

30. September 1918
Gestern nachmittags war ich mit den Lehrerinnen im Kaffeehaus, abends wieder bei ihnen zum Abendessen. Ins Kaffeehaus kann man eigentlich nicht mit ihnen gehen, da benehmen sie sich etwas „provinzlerisch“.

Oktober 1918

Abb. 6: Gänsebraten

3. Oktober 1918
Bei Hauer. Jause, Butterbrot, Cakes, Zigarren.
Man sollte alle seine Gedanken im „Dialog mit Gott“ zum Wort werden lassen, sie im „Dialog mit Gott“ aus- und zuendedenken.

8. Oktober 1918
... krank: – Abends schickten mir die Lehrerinnen eine Omelette.

13. Oktober 1918
Morgens nach Wien gefahren, teils vor der Langeweile eines Gablitzer Sonntags fliehend, teils um mich wieder einmal an- und satt zu essen…. das obligate Packerl der Frau.

14. Oktober 1918
Mittags leistete mir die Mizera Gesellschaft und lud mich zum Abendessen ein.
Nachmittags erwartete ich in Purkersdorf den Hauer, der mit Kerzen und der neuen Fackel kam.

17. Oktober 1918
Dann mit der Mizera. Eine Einladung zu einer kalten gebratenen Gans für den Abend schlug ich nicht aus.

18. Oktober 1918
Krausvorlesung: Vor 10h erst kamen wir zum Abendessen.
Wieder ein Kistchen vom Schach mit Mehl, Eiern und Tabak.

Exkurs: Im Oktober waren die Schulen mehrere Wochen wegen der spanischen Grippe geschlossen. Die Vorlesung von Karl Kraus fand statt. Und die Leute drängten sich, wie Ebner bemerkt.

20. Oktober 1918
brachte bei der Gelegenheit dem Atzinger Zigaretten und Tabak vom Schach.

24. Oktober 1918
nach dem äußerst miserablen Mittagessen im Kaffeehaus. Die Mizera hat mir aus dem rumänischen Mehl einen großen Laib Brot gebacken. Mit ihm also wäre der Hunger wieder für einige Tage verbannt

25. Oktober 1918
Vormittags machte ich eine Aufzeichnung, die auf einmal – wie und warum weiß ich nicht – in mir Hoffnungen weckte, ich könnte vielleicht doch noch einmal zu einer die Veröffentlichung im Auge habenden Zusammenfassung und Bearbeitung meiner Gedanken über das Problem des Wortes kommen.

27. Oktober 1918
Von der Höferl bekam ich heute ein beträchtliches Stück Butter.

28. Oktober 1918
... getrieben, die Arbeit über das Wesen des Wortes anzupacken. Ich richtete mir Papier her, zögerte dann lange, den ersten Satz niederzuschreiben und schrieb dann doch ein kleines Stück, aber schon abbrechend, ehe mir noch der „Atem“ ausgegangen war. Ich habe nicht den Mut fortzusetzen.

31. Oktober 1918
Das Abendessen so, als feierten wir die Geburt des neuen Staates: Gänsebraten, Schweizer Käse, Kuchen aus weißestem Mehl.

November 1918

1. November 1918
Neustadt Mit dem Hauer beim Beisteiner – das teuerste Mittagessen meines Lebens

6. November 1918
Von der Höferl bekam ich heute abermals ein Stück Brot und Butter. Das ist wohl das letzte.

15. November 1918
Namenstag der Frau (Hauer), dann „feierten“ wir – bis gegen 11 – und aßen und tranken, wie in den Tagen Noas – wir leben ja auch jetzt mitten im Untergange einer Welt. Das sollten wir ja nicht vergessen im Rausch des Revolutionsoptimismus, in den vielleicht alle mehr oder weniger hineingeraten sind, die unter der Not des Krieges zu leiden hatten.

16. November 1918
Der Gedanke, mich nun doch an die Arbeit über das Wortproblem zu machen, beschäftigt mich immer wieder.
Die Lehrerinnen versorgten mich reichlich mit Brot und mit einem nicht unbeträchtlichen Stück Butter. Abends war ich bei ihnen zum Abendessen.

21. November 1918
Alle die Tage her viel beschäftigt mit dem Gedanken, die Fragmente über das Wortproblem zu „redigieren“.

28. November 1918
Mittagessen beim Hahn auf der Mariahilferstraße – gut, aber etwas teuer.
Über dies und das hin- und hergeredet, auch über das Problem des Worts

29. November 1918
Heute, morgens schon, mit dem 1. Fragment über das Problem des Wortes begonnen.
Die Mizera lud mich zum Jausentee ein und auch beim Abendessen war ich bei ihr, die ganze Prozedur des Kochens mit ansehend. Ich steuerte eine Flasche Wein bei – zur Feier meines Urlaubsantritts.

Abb. 7: Ebners Flasche Wein

Dezember 1918

1. Dezember 1918
Ich setzte mich zum Schreibtisch und brachte das 1. Fragment um ein Stück weiter.
D h. also, ich habe nun doch mit der Arbeit über das Wort und die geistigen Realitäten
– das wird ihr Titel sein – begonnen.

2. Dezember 1918
Mittags schon fuhr ich zurück, nachdem ich beim Hahn (in Wien) gegessen hatte.
Er (Hauer) erklärte sich „voll Begeisterung“ bereit, die Reinschrift zu übernehmen. Mit dem Schach den Nachmittag verbracht. Nun hab ich wieder Zigaretten, Tabak und sogar ein paar gute Zigarren. Abends „prassten“ wir beim Klebl.
Die Arbeit über das Wort ist nun wirklich im Gange, nachdem ich in dieser Woche zum dritten Mal angefangen habe.

8. Dezember 1918
Luise richtete ein so reichliches Gabelfrühstück, dass ich auch heute mit Leichtigkeit auf das Mittagessen verzichten konnte.

9. Dezember 1918
Das 9. Fragment fertiggebracht.

10. Dezember 1918
Heute das 10. Fragment – langsam, mit vieler Mühe des Denkens. Bei den Lehrerinnen zum Abendessen.

12. Dezember 1918
Mittags beim Hahn auf der Mariahilferstraße in Gesellschaft des Kollegen Abel.

13. Dezember 1918
Morgens doch versucht, an einem Fragment zu arbeiten. Es ging aber nicht.

21. Dezember 1918
Morgens an dem Fragmenten über die Sinne weitergeschrieben. Das wächst sich zu einer kleinen Abhandlung aus. Die Sekretärin, die mir jetzt täglich meine Kartoffel zum Gabelfrühstück siedet, ließ mir einen Laib Brot zukommen. Einen zweiten bekam
ich mittags von der Mizera. Also bin ich wieder reichlich versorgt. Abends bei den Lehrerinnen beim Abendessen

22. Dezember 1918
Vormittags ein paar Seiten geschrieben.

23. Dezember 1918
Heute verzichtete ich ganz darauf, an den Fragmenten weiterzuschreiben.

25. Dezember 1918
Vor 1h erst war ich ins Bett gekommen, hatte ein paar Stunden nur geschlafen und wachte mit einem ‘wüsten’ Kopf auf, als ob ich gestern ein Trinkgelage mitgemacht hätte. Grippeverdächtiges Unwohlsein, auch bei L. – bald nach dem Abendessen trennten wir uns.

1919

 

Jänner 1919
... das Jahr mit den zwei Neunzehnern, das Jahr, das der Welt den Frieden bringen soll.

13. Jänner 1919
Gestern wagte ich mich, in Gesellschaft des Schach, ins Kaffeehaus. Die frische Luft tat mir wohl. Abends arrangierte der Schach beim Klebl ein Abendessen: Kaiserschmarren, Marmelade, Wein, Zigaretten, Schwarzer Kaffee.

So hätte ich eigentlich schon wieder angefangen, der Banalität des Alltags und seiner banalen Abwechslung mein Augenmerk zuzuwenden.

Abb. 8: schwarzer Kaffee

 

15. Jänner 1919
Der Himmel hat gewiss nichts gegen die wahre Freude am Leben.
Gestern begonnen mit der ‘Karlsbader Kur’. Der vorgeschriebene Spaziergang vor dem Frühstück erfrischt meinen Geist, aber ermüdet den Körper. Die Ernährungskalamität fühlbarer denn je. Fast jeden Tag verderb ich mir neuerdings den Magen. Sie (Luise) hat mir Backwerk geschickt, ist aber noch nicht angekommen.
Heute Paket aus Wels mit Zwieback, Tee, Zucker, Zigarren und Zigaretten.

20. Jänner 1919
Ich bin jetzt wieder sehr zum "essenden Tier" geworden – hungrig gemacht durch die Entfettungskur und den täglichen Morgenspaziergang. Die ersten Vormittagsstunden stehen fast ganz im Bann animalischer Bedürfnisbefriedigung. Es sieht wahrhaftig schmählich in mir aus. Mein geistiges Leben ist ja wirklich nichts anderes als die Überspannung und Überspanntheit meiner Existenz in ihrer Erdgebundenheit, also kein wahres geistiges Leben.

22. Jänner 1919
An den Fragmenten weitergearbeitet. …auf das Paket von L. vergebens gewartet. Dafür eine zweite reichliche Sendung aus Wels. Fast, dass ich im Überfluss stecke: Die Mizera hat mir den zweiten Biscuitkuchen in dieser Woche gebacken, die Sekretärin einen Zwieback – auch schon seit meiner Erkrankung das zweitemal – und aus meinem Welser Mehl einen Wecken und sie trat mir einen Laib Brot ab.
Nicht nur das geistige ‘Objektivwerden’, auch das Versinken in der erdgebundenen Banalität unsres Daseins kann dem Menschen zur Gefahr für sein geistiges Leben werden.

23. Jänner 1919
An den Fragmenten fleißig und nicht unglücklich weitergeschrieben.

24. Jänner 1919
Korrigierend an den Fragm. weitergeschrieben. Vom Hauer Zigarren

25. Jänner 1919
In Neustadt. Nach vierwöchentlichem Gablitzer Exil. …Alles will mich jetzt mit Lebensmittel versorgen – auch sie ( Zelenka).An den Fragmenten Einiges herumkorrigiert.

26. Jänner 1919
Hier trank ich mit dem Schach bei der Mizera Tee und ging dann heim. Auspacken. Ich
stecke momentan wieder mitten drinnen in einem großen Überfluss und das verwirrt mich.

27. Jänner 1919
Vormittag an den Fragmenten stilistisch herumkorrigiert und fleißig Streichungen vorgenommen. Nachmittag kam der Hauer – mit einem Paket von der Frau.

28. Jänner 1919
Leben in Fraß und Völlerei. Vormittag wieder Korrekturen. Manches ist ganz umzuschreiben. Bekomme ich jetzt erst die Karlsbader Kur zu spüren?

29. Jänner 1919
Gestern bei den Lehrerinnen zum Abendessen. Die Mizera hatte mir ein Stück Fleisch verschafft und auch gleich zubereitet. Wiederaufnahme der Entfettungskur.

Februar 1919

So 2. Februar 1919
meine Vorräte sind so ziemlich zu Ende, die Lamel hat Eier für mich in Wien deponiert,
ein Paket aus Wels ist nun auch verloren gegangen, am Freitag hatte der Schach bei der Mizera ein Abendessen arrangiert und heute war ich mit ihm im Kaffeehaus. Geistig existieren – ich habe ja noch gar nicht damit angefangen, obwohl ich ein Buch darüber schreiben will.

7. Februar 1919
Diese Woche …Arbeit an den Fragmenten. Der Hauer kam zweimal, am Montag mit den Eiern, am Mittwoch mit einem Biskuitkuchen von seiner Frau. Am Montag hatte mir die Mizera wieder Fleisch verschafft und gekocht, am Dienstag einen Pudding.
Am Donnerstag war ich zur Jause beim Schach – am Klavier herumklempernd. Abends mit ihm bei der Mizera –Prassen.

8. Februar 1919
Christ werden – das ist für jeden die unendliche Aufgabe seines geistigen Lebens.
Sieben Stunden. Der Südbahnzug konnte aus Wien nicht hinaus – keine Kohlen. Ich kam ganz durchfroren hier ( Wr. Neustadt) an.

9. Februar 1919
Es gibt eine Lust und sogar Wollust des Erkennens.

16. Februar 1919
dass dieses Buch, wenn es überhaupt gedruckt wird, dem Andenken meines Vaters gewidmet sein wird? Fragment (12) über die Mathematik fertig.

19. Februar 1919
Für die nächsten Tage und die nächste Woche habe ich nichts anderes vor mir als die Hoffnung, an den Fragmenten weiterzuschreiben.

22. Februar 1919
Die ganze Woche sehr fleißig an den Fragmenten gearbeitet und viel weitergebracht,
dass ich mich gar nicht mehr weit vom Schlusse sehe. Ginge das so weiter, so wäre ich in 2 Wochen fertig. Meine Arbeit hat mich bis zum Kapitel über Weininger ( Fragm. 16) geführt.

26. Februar 1919
Paket aus Wels mit Mehl und Eiern, Kondensmilch und Speck.
Gestern abends mit dem Schach erster ‘Frühlingsspaziergang’ gegen Mauerbach. Heute das Fragment über den Sinn der Erkenntnis – das vorletzte.

März 1919

Samstag 1. März 1919
Heute vormittag schrieb ich die Schlußworte zum letzten Fragment.
Diese Arbeit ist der Höhepunkt meines irdischen Lebens .

7. März 1919
... schrieb ich an den letzten Einträgen zu den Fragmenten.

11. März 1919
endlich wieder ein „freier Mensch“ und „freier Denker“ zu sein, der sich nicht nach dem Frühstück zum Schreibtisch zu setzen braucht, um dort auszuharren bis zum Abendessen.

12. März 1919
In einen wundervollen Abend hinein gingen wir über den Rabenstein herunter. Nach dem Abendessen musste ich noch eine Tasse Tee bei ihm (Schach) trinken.

14. März 1919
Reinschrift des Manuskripts begonnen. Paket aus Wels mit Eiern, Mehl und andern.

21. März 1919
An eine Veröffentlichung denke ich gar nicht.
Verleger – Prozedur des Drucks - Korrekturlesen- prrr!

24. März 1919
Nach dem Mittagessen machte sich der Hauer gleich an die Abschrift des Manuskripts. Er macht die Sache wirklich schön. Zurückgefahren. Hier fand ich ein Paket aus Wels mit 20 St. Eiern, einer großen Fleischwurst, etwas Butter und Gries.

25. März 1919
Fast für die ganze Woche ist das ‘Ernährungsprogramm’ festgestellt.

28. März 1919
Gestern abends abermals bei der Mizera, das Essen arangierte in der Hauptsache der Schach, die Zutaten lieferte ich. Experiment mit dem magnetischen Pendelausschlag eines an einem Haar hängenden Goldrings über einem Eisenstab,….

30. März 1919
Er ( Hauer) hat die ganze Woche fleißig an der Abschrift gearbeitet. In Purkersdorf erwartete mich der Schach, der abermals ein Abendessen bei der Mizera vorbereitet hatte.
Die Fragmente über das Wort hätten so und nicht anders geschrieben werden sollen.

April 1919

1. April 1919
Dienstantritt, um aber gleich wieder vom Chef heimgeschickt zu werden. Tagüber ein paar Seiten an der Reinschrift, im Kaffeehaus, abends bei der Mizera ein ziemlich kommunistisches, aber nicht gerade zeitgemäßes Abendessen.

10. April 1919
Schach, der dann bei der Mizera ein Abendessen arrangierte. Mich drängt es schrecklich, meine Arbeit restlos fertig zu kriegen. Heute begann ich die Reinschrift des letzten Fragments, das sind etwa 20 bis 25 Seiten.

11. April 1919
Die interessantesten Fragmente…das sind die drei letzten.

Samstag 12. April 1919
Gegen Abend schloß ich die Reinschrift der 18. Fragm. über das Wort ab und so bin ich denn, nachdem ich den schon am 1. März geschriebenen Schluß wesentlich geändert habe, mit dieser Arbeit wirklich restlos fertig geworden.
So ganz ohne Feier ließ ich das nicht sein – ich lud Schach auf ein Glas Wein zum Klebl ein.

13. April 1919
... froh bin ich, dass ich fertig bin, dass ich jetzt nicht mehr Tag für Tag von 7 h früh bis 7 h abends beim Schreibtisch zu sitzen habe, dass ich lesen kann, was mich freut, dass ich wieder ein „freier Denker“ bin.

14. April 1919
Es fehlte nur noch, dass mich meine Fragmente irgendwie aus meiner sozialen und intellektuellen Einsamkeit herausrissen.
Gründonnerst. 17. Magere Ostern – vielleicht gar ganz fleischlos. Auf ein Paket aus Wels hatte ich doch gehofft. Zum Glück hat mir die Mizera Cakes gemacht und mir überdies einen Laib Brot überlassen, so dass ich mich also auf diese Weise sattessen kann.

25. April 1919
Gestern mittags nach Wien. Nun ist auch Hauer mit der Abschrift der Fragmenten fertig geworden. Und jetzt? Übernachtet. Nach Monaten, im Café Imperial.

Mai 1919

7. Mai 1919
Der Hauer schleppte mich in die Ausstellung des Schweizer Malers Johannes Itten .

18. Mai 1919
Abendessen bei der M. Ich war sehr aufgeräumt – eigentlich, weil ich etwas zu viel Wein getrunken hatte.

22. Mai 1919
... las ich mir die Fragmente durch. Es stimmt da alles so wunderbar – Und es ist nichts, das ich bereute, geschrieben zu haben, weder im Einzelnen noch im Ganzen.

Juni 1919

6. Juni 1919
Tag für Tag mit dem Schach bei der Mizera zum Abendessen.
Gestern nach P.(urkersdorf) und im Kaffeehaus: das Vorwort zu den Fragmenten, für den Fall der Veröffentlichung. Also recht voreilig.
Pfingstsamst. 7. Neustadt. Hier – die Hunger- und Kommunistenstadt.
Kommunismus ist eine Forderung der Hungrigen. Satte sind gegen ihn.

16. Juni 1919
Das Vorwort zu den Fragmenten habe ich noch einmal geschrieben, das famose Gutachten an die Spitze stellend. Das ist nun eine arge Satire. Aber ich habe das Gutachten ja nicht böswillig erfunden.

23. Juni 1919
Die Mizera hatte ein Abendessen bereit. Zum Scherzen bereit – ich nämlich. -

8. Juni 1919
Strache-Verlag und Veröffentlichung der Fragmente. Vorläufig ließ ich nur das Vorwort dort.

11. Juni 1919
Abends feierten wir bei der Mizera den Namenstag des Schach.

15. Juni 1919
Der Thom vom Strache-Verlag interessiert sich nicht weiter für die Fragmente – ganz in der Ordnung. Nun schicke ich sie dem Th. Haecker, vielleicht morgen gleich.

17. Juni 1919
Gestern vormitt. wurden die Fragmente an Haecker abgeschickt – Assistenz Hauers.

August 1919

5. August 1919
Abends beim Rockenbauer in Grinzing. Die Trivialität der Heurigenmusik – die man sich am Ende noch gefallen lassen könnte – verschmiert durch Operettensentimentalitäten

Abb. 9: Beim Heurigen in Grinzing

Es folgen nur mehr wenige Eintragungen zum Essen, aber noch viele bis die Fragmente gedruckt sind.
Somit auf Wiedersehen am 13. März 2022.

Quellen:
Ferdinand Ebner: Tagebücher & Fragmente
Foto: © Dr. Herbert Limberger 

Warum ist Ebner für polnische Semantik interessant?

Wie lässt sich die Wahrheit an das Du binden?

 

Ewa Drzazgowska
Chojnice / Warszawa, Polen

Ferdinand Ebner betont, wie Sie es ganz sicherlich wissen, die Untrennbarkeit der Ich-Du-Beziehung und der Sprache. Die Sprache betrachtet er dabei in erster Linie als aktuelles Sprechen.
Die Beziehung zwischen Ich und Du ist für ihn in jeder Aussage gegenwärtig, auch wenn nicht immer auf der Oberfläche. Die Beziehung sieht er dabei an – erlauben Sie mir diese paradoxe Ausdrucksweise – als in seiner speziellen Asymmetrie symmetrisch. Die Asymmetrie kommt von der Eigenart der beiden Rollen, die sich aufeinander nicht zurückführen lassen. Die Symmetrie dagegen – erstens davon, dass sie in der sprachlichen Praxis immer wieder und notwendigerweise wechselt, zweitens aber, dass das Funktionieren des einen durch das Funktionieren des anderen bedingt ist. Um Ebner selbst hier sprechen zu lassen:
„Weil das Ich und das Du immer nur im Verhältnis zueinander existieren, gibt es ebenso wenig ein absolut duloses Ich, als ein ichloses Du zu denken wäre. Das Wort ist dasjenige, wodurch nicht nur die Existenz, sondern vor allem das Verhältnis beider objektiv konstituiert [...] wird.”

Abb. 1: Ewa Drzazgowska beim Vortrag am 11.4.2018

Als solche „ersetzen” die beiden Worte, ich und du, bei Ebner „direkt” die Person. Die zwei Rollen, die sie festlegen, bilden sozusagen „zwei Bestandteile der Persönlichkeit” (wie Joanna Zaucha, eine Semantikerin und Leserin Ebners in Polen sich ausdrückte, der meine jetzige Aussage viel verdankt) – man kann aber weder das „direkte Ersetzen” Ebners, noch diesen Charakter der Bestandteile „mechanistisch” deuten; das verstehen Sie gewiss gut. Nun, wie man sie deuten müsste, ist immer noch eine offene Frage.
Ebner gibt sich viel Mühe, zu zeigen, dass die Beziehung mit der wesenhaften Zweiheit der Ich und Du-Rolle im Bereich der Sprache und des Geistes das Ursprüngliche ist. Dass es hier demnach keine perspektivenlose Stellung (kein „view from nowhere”) gibt; und zwar in dem Sinne, dass eine solche Stellung immer durch eine Illusion belastet sein muss.
 
Was bedeutet das aber für die Sprachtheorie?
Muss sie sich immer – in der Suche nach Objektivität – von einer Illusion belastet oder zumindest bedroht finden? Bedeutet das aber nicht einen Skeptizismusverfall, den Ebner selbst zu vermeiden suchte? Davon zeugt doch das Platonische Motto zu den Fragmenten:
„Davor müssen wir uns also zunächst hüten, wir dürfen niemals in der Seele den Gedanken aufkommen lassen, in den Worten sei kein Halt”.
Wie ist der Ausweg aus diesen Schwierigkeiten?
 

Die Suche
nach dem Halt in den Worten

Ebner stellt sich – Plato folgend – die Frage nach dem Halt in den Worten. Und er geht mit dieser Frage – von den Fragmenten zu dem Versuch eines Ausblicks… - einen Weg.
Man muss aber erklären, um was für ein Problem es geht, wenn man hier mit Plato und Ebner über den Halt spricht. Es geht um die Beziehung der Sprache auf Wirklichkeit, es geht um die große Frage aller echten Sprachphilosophie. Wie kommt es, dass die Worte Beziehung auf die Wirklichkeit haben? Wie kommt es, dass sie wahr sein können? Es geht also unter anderem – um „kantisch” zu sprechen – um die Möglichkeitsbedingungen der Wahrheit.
Die Ebnersche Antwort aus den Fragmenten ist ziemlich gut bekannt: Ebner beruft sich (hier auch dem jungen Plato und nach ihm vielen anderen folgend) auf die Ethymologie und den lautlichen Symbolismus. Später, im Versuch, ändert er seine Position und beruft sich in der Suche nach dem Halt auf die Metapher.
Es gibt aber auch einen anderen Weg auf der Suche nach dem Halt. Dieser Weg wurde in den Ebnerschen Zeiten gegangen und traf sich mit dem Ebners – es geht mir um die ungeheuer erstaunende Tatsache, dass die Fragmente einmal auf dem Schreibtisch Ludwig von Fickers neben dem Tractatus Ludwig Wittgensteins lagen.
Der Weg Wittgensteins führt erstmals zu der Identität der Form, der logischen Mannigfaltigkeit zwischen Worten (Sätzen) und Situationen im Tractatus. Die Mannigfaltigkeit hat aber dabei – bekannterweise – die unaussprechbare, sich nur direkt im Sprechen zeigende, Natur. Wittgenstein folgte auf diesem Weg dem älteren Plato und Leibniz. Bekannterweise verließ er aber danach diese Position, um zur Mannigfaltigkeit der menschlichen Lebensformen, Aktivitäten in den Untersuchungen zu gelangen. Aus dieser Mannigfaltigkeit heraus versuchte er die Sprache als Mannigfaltigkeit der gleichgestellten sprachlichen Aktivitäten zu beschreiben, aber nicht mehr zu erklären. Ob das ein Skeptizismusverfall war, wage ich hier nicht zu beantworten.

Die ausgezeichnete Rolle der Wahrheit
in der Suche nach dem Halt

Nun kann man nicht leugnen, dass das Sprechen eine Mannigfaltigkeit der Aktivitäten darstellt. Es gab Versuche – und zwar vom Anbeginn der Sprachreflexion an – diese Mannigfaltigkeit zu ordnen.
Einer der bekanntesten ist der Karl Bühlers. Bühler ordnete die sprachliche Mannigfaltigkeit vom Standpunkt der Struktur jedes Sprechaktes an. Die Bühlersche Beschreibung dieser Struktur würde Ebner gern annehmen. Ich glaube, dass auch Wittgenstein, auch der frühe, sie nicht in Frage stellen würde. Erinnern wir uns hier an die schon klassische Bühlersche Beschreibung: es gibt in jedem Sprechakt außer der Handlung des Sprechens selbst: den Sprechenden, den die Worte Empfangenden und den Gegenstand des Sprechens, also die Wirklichkeit. Demzufolge kann der Sprechakt eine expressive, eine appellative und eine symbolische Funktion aufweisen – je nachdem welches Element der Struktur dominiert. Bühler hat hier nichts ausgezeichnet.
Eine Auszeichnung drängt sich aber auf, wenn man den Weg der Suche nach dem Halt in den Worten antritt. Wir suchen doch die Grundlage der Möglichkeit, sich auf die Wirklichkeit zu beziehen und davon Wahrheit zu sagen. Es geht uns also um die Wirklichkeitsbeziehung und den Wahrheitsgehalt des Sprechens. Die kommen in der symbolischen Funktion des Sprechens ans Licht.
 

 

Abb. 2:Bild: Fragmente – Festl

Ein Streit im Schoß der Sprachtheorie

Andrzej Bogusławski betrat diesen Weg, indem er dem alten Plato, Leibniz und dem jungen Wittgenstein folgte. Er zeichnete die Bühlerschen symbolischen Aussagen aus, wobei es ihm um die Behauptungen ging, deren Thema und Askription (logisches Prädikat, d.h. Charakteristikum, das vom Thema ausgesagt wird) algebraisch trennbar sind. Diesen Aussagentyp zeichnete er als Grundlage aller anderen Aussagentypen aus. Die Grundfunktion des Sprechens beruhe in dieser Auffassung – etwa grob gesagt, aber in grundsätzlichen Umrissen so wie es Plato und Aristoteles wollten – auf der Präsentation des Wissens, das man von jemandem oder von etwas hat. Es lasse sich – nach der festen Überzeugung Bogusławskis – diesen klassischen Punkt der Sprachtheorie – dem alten Wittgenstein und seinen Nachfolger zuwider – nicht verwerfen.
Bogusławski ist aber dabei, wie die anderen, auf der Suche, d.h. er modifiziert seine Position. Vor einiger Zeit wollte er nämlich alle anderen Aussagentypen (auch solche Grundtypen wie Fragen und Imperativa) als auf die assertorischen Aussagen reduzierbar sehen. Später musste er aber zugeben, dass eine solche Reduktion, zumindest im Falle der Fragen und Imperativa, nicht machbar ist.
Warum? Sie würde die Spezifik dieser Aussagentypen zunichtemachen. Dennoch bleibt Bogusławski aber auf der Position, den Behauptungen die zentrale Stellung im Schoß des Sprechens zuzumuten. Sein Hauptargument ist dabei das, es lasse sich sonst der Platonische Halt in den Worten nicht erklären: denn wir ertränken sonst den Wahrheitsanspruch im Meer der sprachlichen Mannigfaltigkeit. Dann bleibt uns nur die Konvention, die notwendigerweise zum Skeptizismus führt.

Und auch Ebner wollte die Konvention als Grundlage der Sprache nicht zulassen. Allerdings würde er vermutlich die zentrale Stellung der Präsentation des Wissens für das Leben der Sprache anzweifeln. Es würde ihm hier wohl die für ihn grundlegende „Duhaftigkeit” des Sprechens fehlen.
Und auch unter den Schülern Bogusławskis werden Stimmen hörbar, dass „Ebner Recht hatte, wenn er die Sinnhaftigkeit des Sprechens und der Sprache nur im Gerichtetsein der Aussage an ein Du sah”. Es lässt sich hören, der Sprechende brauche für sich selbst sein Wissen nicht präsentieren; er handle einfach danach.
Vielleicht sollte man in Anlehnung an die Ebnersche Position den appellativen Aussagentypen die zentrale Stellung in der Sprache zu erkennen. Die sind doch inhärent an ein Du gerichtet.
Wie steht es dann aber mit dem Wahrheitsanspruch und dem Halt in den Worten?
Wir wissen alle, dass Ebner keineswegs auf die zentrale Stellung des Wahrheitsanspruchs verzichten wollte. Er verband aber die Anwesenheit dieses Anspruchs eng mit seiner Erkenntnis des Sprechens als Beziehung zwischen Ich und Du. Die Wahrheit im engen Sinne könne nur da erscheinen, wo es ein Du gäbe. Und in diesem Sinne sei sie immer persönlich, mit dem Leben der Person verbunden.
Die Frage ist nun: Wie kann man die sprachliche Mannigfaltigkeit ordnen, so dass die Ordnung den Halt nicht verlieren lässt und zugleich dem Postulat Ebners Genüge tut?
Es geht mir hier um das Postulat der Bindung der Wahrheit an das Du.
Einige Schritte bin ich in diese Richtung gegangen. Ob da sich jede Illusion vermeiden lässt, kann man nie sicher sein.

Der Vortrag wurde 2018 bei der Tagung „Ebner blüht“ in Gablitz gehalten.

Service:
Ich habe die Vortragende gebeten, uns einen Blick in die polnische Ebner-Literatur zu ermöglichen.
Danke für die nachfolgende Auflistung (Stand März 2018).

Auf Wiedersehen am 10. April 2022 mit Wittgenstein -- Ebner

 

Einladung:

Der Wiener Neustädter Denkmalschutzverein freut sich,
anlässlich des 140. Geburtstages des großen Philosophen FERDINAND EBNER
zum Festakt und Enthüllung des Gedenksteines
am Freitag, den 25. März 2022, 10.00 Uhr Kurze Gasse 7, 2700 Wiener Neustadt
einzuladen.

Originaleinladung DOWNLOAD
Dr. Limberger im Auftrag des Präsidenten Prof. Dr. Schmidinger
 

Neuere polnische Texte zu Ebner:

E. Drzazgowska, O fundamentalnych relacjach między prawdą, wolnością, dialogiem i budowaniem tożsamości – z perspektywy teorii mowy [Von den fundamentalen Zusammenhängen zwischen der Wahrheit, Freiheit, dem Dialog und Bauen der Identität aus der Sicht der Sprachtheorie], Paedagogia Christiana 2017.

T. Gadacz, Filozofia dialogu [Dialogphilosophie], [w:] Historia filozofii XX wieku, t. II, Znak, Kraków 2009, s. 522-537.

M. Grabowski, Egzegeza filozoficzna. Trzy ilustracje [Philosophische Exegese. Drei Beispiele], Logos i Ethos, 2013.

M. Hołda, Logika serca: Ebner i Tischner [Logik des Herzens: Ebner und Tischner], Paedagogia Christiana 2017.

J. Jagiełło, Logos i wiara: czyli o Bogu-człowieku, który pojawia się w myśleniu z głębi mowy [Logos und Glaube oder vom Gott-Mensch, der im Denken aus der Tiefe der Sprache erscheint], [w:] Joanna Barcik, Grzegorz Chrzanowski OP (red.), Jeśli Bóg jest... Księga jubileuszowa na siedemdziesiąte urodziny Ojca Profesora Jana Andrzeja Kłoczowskiego OP, Instytut Myśli Józefa Tischnera, Kraków 2007, s. 63-75.

J. Jagiełło, Bóg jako jedyne Ty mojego Ja. Problematyka Boga w kontekście dialogicznego doświadczenia bycia [Gott als das einzige Du meines Ich. Gottproblematik im Zusammenhang des dialogischen Seinserfahrung], [w:] Joanna Barcik, Grzegorz Chrzanowski OP (red.), Demitologizacja, świadectwo, dialog. Niemiecka filozofia religii, Instytut Myśli Józefa Tischnera, Kraków 2008, s. 77-97.

J. A. P. Kostyło, Ferdinand Ebner i paradoks samotności [Ferdinand Ebner und das Paradox der Einsamkeit], Paedagogia Christiana 2015.

J. Skarbek-Kazanecki, O potrzebie wołacza. Vocativus z perspektywy filozofii dialogu [Vom Bedürfniss nach Vocativus aus der Sicht der Dialogphilosophie], Ogrody Nauk i Sztuk 2016.

K. Skorulski, W poszukiwaniu początku dialogu: Ebner i Freire [In der Suche nach dem Anfang des Dialogs: Ebner und Freire], Przegląd Filozoficzny – Nowa Seria, 2012.

K. Skorulski, W poszukiwaniu ostatecznej pewności: Kartezjańskie cogito i Ebnerowskie słowo [In der Suche nach der endgültigen Gewissheit: das Cogito Descartes und das Wort Ebners], Kwartalnik Pedagogiczny, 2015.

K. Skorulski, Aktualność i performatywność słowa [Aktualität und Performativität des Wortes], Paedagogia Christiana 2015.

K. Skorulski, Słowo i pustosłowie [Das Wort und die Phrasendrescherei], Przegląd Pedagogiczny, 2013.

K. Skorulski, Potrzeba przełomu. Dialogiczne spojrzenie z Ferdinandem Ebnerem na rozwój sytuacji duchowej we współczesnych społeczeństwach Europy [Das Bedürfniss nach der Wende. Der dialogische Blick mit F. Ebner auf die Entwicklung der geistigen Situation in den gegenwärtigen Gesellschaften Europas], Filozofia chrześcijańska, 2012.

A. Węgrzecki, Wokół filozofii spotkania [Zur Philosophhie der Begegnung], Kraków: WAM 2014.

K. Wieczorek, Filozofia śladu i obecności. W poszukiwaniu filozoficznych perspektyw poznania Boga przez słowo i pismo [Philosophie der Spur und der Gegenwart. In der Suche nach philosophischen Perspektiven der Gotteserkennntnis durch das Wort und die Schrift], Forum Teologiczne 2011.

 

Quellen:
Fotos:
Abb. 1: ©Glazmaier Gerhard 2018
Abb. 2 und Rest © Dr. Herbert Limberger
Zeichnungen: Iago, Ferdinand Ebner Volksschule