Ferdinand Ebner

Charles Baudelaire

Charles Baudelaire

Zum 200. Geburtstag am 9.4.2021

Gedanken und Taten von Ferdinand Ebner

Baudelaire hat in ganz eigentümlicherweise die Tragik des Schönheitserlebnisses offenbar gemacht. Die geistige Größe Baudelaires (ist), dass sein ausgesprochenster Ästhetizismus niemals das Bewußtsein des Ethos völlig unterdrückt.
Notizen 22.2.1917

Beim vierten und letzten Korrekturlesen für „Das Wort und die geistigen Realitäten“, Anfang Juni 1921, machte Ferdinand Ebner nicht unbedeutende Texteinschaltungen. Nun wörtlich:
… es geht wunderbar genug im Leben zu.
Seit wie vielen Jahren nicht schon kenne ich die Gedichte Baudelaires und darunter auch eines, das ich bisher nicht zu den in meinen Augen bedeutsamen gerechnet habe.

(es heißt Le Rebelle und beginnt: Un ange furieux fond du ciel usw.-… und achte insbesondere auf die 2.Strophe)
Im Zusammenhang nun mit dem Text meines Buches denke ich da über die ethische Bedeutung der inneren Tatsache des „Ich will“ und „Ich will nicht“ nach.
Und auf einmal denke ich dieses „Ich will nicht“ ganz entschieden als „Je ne veux pas“ und da steht mir auch schon jenes Gedicht von Baudelaire klar und deutlich vor Augen, das ich, ich weiß gar nicht wieviele Jahre schon nicht gelesen habe.

Also kam’s , in der 2. Strophe wenigstens, in das Buch hinein.
Brief an Karpischek 10.6.1921

Die 2. Strophe ins 14., das „Je ne veux pas“ der 4.Strophe ins 17. Fragment.

2. Strophe:

Sache qu’il faut aimer, sans faire la grimace,
Le pauvre, le méchant, le tortu, l’hébété,
Pour que tu puisses faire, à Jésus, quand il passe,
Un tapis triomphal avec ta charité.

14.Fragment

und

4. Strophe:

Et l’Ange, châtiant autant, ma foi! qu’il aime,
De ses poings de géant torture l’anathème;
Mais le damné répond toujours; «Je ne veux pas!»

17.Fragment

 

Der Empörer ( auch Rebell)

Ein Engel stürzt sich wie ein Aar zur Erde

Und rauft des Glaubenslosen Haar voll Grimm:
»Ich will, dass dem Gesetz Gehorsam werde!

Dein guter Engel bin ich, drum vernimm:

Du sollst sie lieben ohne Widerstreiten,

Die arm und schlecht sind, blöd und kranken Bluts,

Damit du vor dem Herrn dereinst kannst breiten
Prunkvoll den Teppich deines Edelmuts.

Denn das ist Liebe! Sorg‘ eh‘ sie entschwindet,

Dass stets dein Herz in Gott Verzückung findet,

Das ist der ewigen Wollust Sinn und Sein!«

Der Engel wahrlich züchtigt, den er liebt,

An dem Verdammten seine Faust er übt;

Doch immer sagt der Gottverfluchte: »Nein!«
Die Deutsche Gedichtebibliothek

 

Baudelaire begleitete Ebner sein Leben lang:

War ich jemals in den Augenblicken tiefster Erniedrigung im seelischen und geistigen Leiden – und wie tief vermochte ich zu sinken!!! – ein ‘Empörer’?
Tb 12.9.1922

Heute morgens überkam mich die jetzt schon sehr seltene Lust – es ist wohl schon Jahre her, daß ich sie hatte – einige Sonette im Baudelaire nachzulesen. Ich kann mich faktisch gar nicht mehr erinnern, wie und wodurch ich eigentlich auf ihn aufmerksam geworden bin.Tb 9.5.1916

Ebner entdeckt Ähnlichkeiten bei Michelangelo und Pascal mit Baudelaire.
Tb 26.3.1916, Notizen 22.2.1917

In „Ausblick in die Zukunft“ können wir mit Ebner feststellen:
Manches von dem tiefen Elend unsrer Zeit hatte Baudelaire vorausgesehen. In einer längeren Notiz seines Tagebuches finden sich die Sätze:

„Als neues Beispiel und Opfer der unabwendbaren moralischen Gesetze werden wir daran zugrunde gehen, wodurch wir zu leben geglaubt haben.

Die Mechanik (Technik) wird uns derart amerikanisiert, der Fortschritt alles Geistige in uns so aufgezehrt haben, daß keine der grausamen, frevelhaften und widernatürlichen Träumereien der Utopisten mit diesen positiven Resultaten verglichen werden kann.“
Ebner online edition, S 731