Ferdinand Ebner

Fragmente Anfang

„Entstehung der Fragmente“

By Herbert Limberger
18. Dezember 2017

Excerpiert aus:
ferdinand ebner online edition Tagebuch 1918
Kösel-Ausgabe ab 19.12.1918
Heraushebung und Zeileneinteilung zwecks leichterer Lesbarkeit geändert.

Lieber Besucher dieser Seite und vielleicht auch des Festls!

Der 1.Weltkrieg ist vorbei. Österreich ist klein geworden und eine Republik.
Ferdinand Ebner ist müde und ausgepowert. Sonderurlaub ist nötig und wird gewährt.
Statt sich in ein Sanatorium zurückzuziehen, beginnt Ebner seine in den letzten 3 Jahren gereiften Gedanken zusammenzufassen und aufzuschreiben. So entsteht sein Hauptwerk.
Damit hat er viel bewirkt und wirkt bis heute nach.
Die Infrastruktur war Gablitz, nicht die „Seitenblicke-Szene“ sondern die Einsamkeit seines Zimmers.
Ebner gibt uns auch nach 99 Jahren keine Verhaltensempfehlungen. Er wollte und will immer noch anregen zum Denken.
Denk mal !
Nicht Denkmal.
Denken kann durchaus Freude bereiten, aber auch anstrengend sein.
Dazu finden Sie nachstehend eine Zeitstruktur der Entstehung der Fragmente .
Gleichzeitig können Sie Ebners Gedanken und Gefühle nachlesen. Spannend.
Und zum Schluss: feiern.


Freitag 29. November 1918

Heute, morgens schon, mit dem 1. Fragment über das Problem des Wortes begonnen.
In der Schule Abschiedsstimmung, natürlich keine sentimentale.
Der letzte Schultag eines kurzen Schuljahres. Hoffentlich bleibt es dabei. Aus meiner Klasse ging ich hinaus mit dem Gefühl des après moi le déluge. (30.11.)


Sonntag 1. Dezember 1918.
Ominöser Urlaubsbeginn
Nun liegt aber tiefer Schnee draußen, daß ich nicht gut zur Bahn gekommen wäre.
Ich setzte mich zum Schreibtisch und brachte das 1. Fragment um ein Stück weiter. D. h. also, ich habe nun doch mit der Arbeit über
„Das Wort und die geistigen Realitäten“
das wird ihr Titel sein – begonnen. Ohne Prätensionen.
Gebe es der Himmel, daß ich sie so auch weiterführe und – vielleicht soll’s diesmal sein – ans Ende bringe. Langsam wird es freilich gehen, denn ich, kein Wunder übrigens, ermüde außerordentlich rasch (1.12.)
Ich erzählte ihm (Hauer) von der begonnenen Arbeit, setzte ihm den Inhalt des ersten Fragments auseinander und er erklärte sich „voll Begeisterung“ bereit, die Reinschrift zu übernehmen (2.12.)


Dienstag 3. Dezember 1918
Heute nichts gearbeitet.


Freitag 6. Dezember 1918
Bei meiner Arbeit verfiel ich zunächst in meinen alten Fehler: Während des Schreibens geriet ich nämlich wieder in die Gebärde der Abhandlung hinein. Eine Abhandlung schreiben aber kann ich nicht. Das ist mir ganz versagt.
Jetzt bescheide ich mich, die einzelnen Fragmente, ihren geistigen Ursprung so viel als möglich respektierend, einfach aneinanderzureihen.
Ich will wirklich ohne jegliche Prätension – in jeder Hinsicht – arbeiten und froh sein, wenn ich täglich mein kleines Pensum erledigen und mir damit meine fast völlige Gablitzer Einsamkeit und Menschenabgeschlossenheit unfühlbar machen kann.
Als ich gestern morgens die Sache zum drittenmal ganz von vorne begann, hatte ich das Gefühl, daß mir nun doch der Himmel die Erlaubnis dazu gegeben habe. Das will ich nicht vergessen, wenn es mir nun auch in den nächsten Wochen vergönnt sein sollte, Tag für Tag um ein Stück weiterzukommen. Und wenn mir das nicht vergönnt sein sollte, erst recht nicht …
Montag 9. Dezember 18. Vormittag gearbeitet, langsam, mit vieler Mühe. Das 9. Fragment fertiggebracht
Nun hab ich auch das Amt in der Brotkommission los, danklos natürlich, denn was wäre auch anderes von der hiesigen Gemeinde zu erwarten.


Dienstag 10. Dezember 1918

Heute das 10. Fragment – langsam, mit vieler Mühe des Denkens. Nicht im Kaffeehaus


Donnerstag 12. Dezember 1918

Gestern abends noch entschloß ich mich – notgedrungen – in meiner Arbeit, vielleicht nur für ein paar Tage, vielleicht aber auch für längere Zeit, auszusetzen. Ich fühle in bedenklicher Weise das Versagen meines Gehirns.


Freitag 13. Dezember 1918

Morgens doch versucht, an einem Fragment zu arbeiten. Es ging aber nicht.


Mittwoch 18. Dezember 1918

Vorgestern nahm ich die Arbeit an den Fragmenten wieder her und gestern war ich sogar sehr fleißig. Heute spüre ich das schon.


(bis hierher entnommen: ferdinand ebner online edition, Tagebuch 1918)
Ab hier: Zitate aus der Kösel-Ausgabe


Dienstag 24. Dezember 1918
Wr. Neustadt: Nachdem wir Tee getrunken hatten, las ich ihr (Luise) einiges aus meinem Manuskript vor. Das war gut. Denn ich wurde auf manches aufmerksam.


Donnerstag 26. Dezember 1918
Philosophieren ist Schachspielen mit einem fingierten Gegner. Die Begriffe sind die Figuren, Dame, Turm usw.. Selbstverständlich, dass man die Partie immer gewinnt.


Freitag 27. Dezember 1918
… auf die Dauer halte ich es doch nirgends aus als in der Einsamkeit meines Gablitzer Zimmers.


Samstag 4. Jänner 1919
… und meine Arbeit an den Fragmenten über das Wort?
Wundert es mich denn, daß wieder nichts daraus wird?


Montag 20. Jänner 1919
In den letzten 8 Tagen ist mir beinahe wieder der Mut gekommen, die Arbeit an den Fragmenten über das Wort fortzusetzen. Der Mut – aber nicht die Fähigkeit!


Dienstag 21. Jänner 1919
Gestern Nachmittag noch schrieb ich an dem schon vor einem Monat begonnen Fragment über die Sinne weiter und wurde heute damit fertig.
Das 18.Fragment kam dann noch dazu.


Mittwoch 22. Jänner 1919

An den Fragmenten weitergearbeitet.


Sonntag 26. Jänner 1919
Meine Fragmente über das Wort stehen geistig am Ende aller Philosophie und eigentlich aller Kultur überhaupt.


Sonntag 2. Februar 1919
Korrigieren, streichen, umschreiben, wieder korrigieren, wieder streichen – so vergeht die Zeit.
Vorgestern und gestern nach dem Abendessen noch bis Mitternacht beim Schreibtisch (in der Zeit der Lichtnot!).


Samstag 22. Februar 1919

siehe „Fragmente Werdung“

Fragmente Werdung